Dies Herz, das dir gehoert
Emil. »Wenn se den erwischen, der de Kiste so wacklig hinjestellt hat ...!«
»Det denkste also ooch, Emil?«
»Det denk ick, Franz. Dem jehts schlecht!«
»Na also«, sagt der andere und trudelt befriedigt weiter.
Emil aber sitzt weiter vor seiner Molle.
Eine Hand berührt die Schulter der Umherirrenden, eine Hand in einem weißen Lederhandschuh.
»Na, Mutter, wo soll die Reise denn eigentlich hingehen?«
Aufschreckend sieht Frau Mahling in das Gesicht des Polizisten. Sofort wird sie wacher, versucht, sich zusammenzunehmen.Denn für den allzu Gerechten ist genau wie für den Bösen die Polizei immer ein Schreckgespenst.
»Na, was ist denn?«, fragt der Polizist gutmütig. »Haben Sie sich verlaufen? Zehn Minuten sehe ich Ihnen schon zu. Wo wollen Sie denn überhaupt hin?«
»Ich wohne in der Bischofstraße, Herr Wachtmeister«, erklärt Frau Mahling verlegen.
»Und was machen sie da hier am Schlesischen Bahnhof? Wissen Sie überhaupt, dass Sie am Schlesischen Bahnhof sind?«
»Doch, Herr Wachtmeister. Ich habe hier eine Freundin besucht.«
»So – und warum wollten Sie eine Fahrkarte lösen?«
»Ich – eine Fahrkarte?«
»Das wissen Sie also gar nicht, dass Sie am Fahrkartenautomaten gestanden und immerzu am Griff gezogen haben? – Freilich, Geld haben Sie nicht reingesteckt. – Nun, wie ist das?«
»Ich weiß doch nicht! Ach bitte, Herr Wachtmeister, lassen Sie mich doch bitte wieder gehen. Ich gehe auch bestimmt nach Haus!«
»Mit Ihnen ist doch was nicht in Ordnung. Haben Sie was getrunken?«
»Ich! Herr Wachtmeister, ich bin in meinem ganzen Leben abstinent gewesen!«
»So! Aber krank sind Sie doch auch nicht!«
»Nein, bitte, Herr Wachtmeister – ich will es Ihnen ja sagen. Ich hab einen fürchterlichen Schreck gehabt, davon war ich ganz von Sinnen!«
»So, was denn für einen Schreck? Wer sind Sie überhaupt?«
»Ich bin Frau Auguste Mahling aus der Bischofstraße. Ichhabe einen Gemüsestand in der Zentralmarkthalle. Vielleicht kennen Sie ihn, Herr Wachtmeister ...«
Der Wachtmeister nickt, ob er ihn nun kennt oder nicht.
»Und wie ich heute Abend nach Hause will, fällt gerade eine schwere Kiste einem Mann direkt auf den Leib. Davon habe ich mich so erschrocken ...«
»So, davon? Davon sind Sie so erschrocken, dass Sie bis zum Schlesischen Bahnhof rennen und eine Fahrkarte kaufen wollen? Komisch, nicht? War es denn eine von Ihren Kisten?«
»Nein! Die Kiste fiel doch vom Umgang, und ich hab meinen Stand doch unten. Aber ich glaube, der Mann ist tot, und das Mädchen schrie so schrecklich ...«
»Welches Mädchen?«
»Meine, nein, sein Mädchen.«
»Sie wollten was anderes sagen, ›meine‹, haben Sie angefangen.«
»Na, also, es ist meine Nichte gewesen, die so schrie. Die ging nämlich mit dem Menschen. Nun wissen Sie wirklich alles, Herr Wachtmeister, und nun kann ich doch nach Haus?«
»Meinethalben«, entschließt sich der Wachtmeister. »Ich werde ja sehen. Aber gehen Sie schnurstracks nach Haus. Laufen Sie nicht wieder so kopflos durch die Stadt!«
Frau Mahling geht wirklich schnurstracks nach Haus.
Zur gleichen Stunde etwa entschließt sich Emil Schaken, die Stampe zu verlassen.
Vor der Tür des Mahling’schen Hauses treffen sie zusammen.
»Na, Tantchen?«, sagt Emil Schaken und bleibt vor ihr stehen.
»Geh ...«, flüstert sie und versucht verzweifelt, ihn aus dem Wege zu schieben. »Ich habe nichts mit dir zu schaffen, du – Mörder!«
»Ick vasteh dir nich, Tante. Wat heißt hier Mörder? Haben se jemanden jemordet?«
»Du weißt sehr gut ... Ich ruf um Hilfe, Emil, wenn du nicht gehst!«
»Schrei doch! Du schreist dir nur selber wat uffen Leib! Also, mach, Tante, det Jeld ...«
»Was für Geld?«
»Die hundert Märker, die du mir versprochen hast!«
»Ich hab dir kein Geld versprochen!«
»Mach zu, Tante Juste!«
»Ich schrei ...«
»Schrei doch! Oder soll ick mit dir ruffjehn und Onkel Oskar allens erzählen ...«
»Still! Zwanzig Mark habe ich gesagt!«
»Nee, fuffzig, aber nun sind’s hundert jeworden. Mach zu!«
Mit zitternder Hand zieht Frau Mahling die Scheine aus ihrer Tasche.
»Da – geh! Mach, dass du fortkommst! Lass dich nie wieder sehen!«
»Dank schön, Tante Juste! Dann also uff Wiedersehen!«
Und er geht.
Mit zitternden Knien, blass, erschlagen, steigt Frau Mahling die Treppe hinauf.
Scheltend empfängt sie ihr Mann.
»Wo bleibst du denn wieder so lange? Jeden Abend wird’s später. Und mein Abendessen
Weitere Kostenlose Bücher