Dies Herz, das dir gehoert
den kleinen Augen und dem rohen Kinn ...
Jetzt kommt eine Treppe, leise fängt er an hinabzusteigen.
Aber immer von unten die klagende Stimme: »Hannes! Liebster Hannes! Sag doch ein Wort! Mein Herz, du mein Herz!«
Und nun schon mehr Stimmen! Und Schurren von Füßen! Und Laufen!
Und nun das bläuliche Aufflammen der Bogenlampen in der Halle!
Und nun die Tür, die verhängnisvolle Tür, die von außen aufschlägt, durch die ein Polizist eintritt, mit festen Schritten, auf die kleine Gruppe zu.
Und nun das Klingeln eines Krankenwagens.
Aber immer die schöne, klagende Stimme: »Sag ein Wort, Hannes! Nur ein Wort – Hannes! Hannes!«
Nachtwache
Sie hatte es erreicht, dass man ihn in ein Einzelzimmer legte; bei dem Verbinden aber hatte sie nicht zugegen sein dürfen.
»Was ist mit ihm?«, hatte sie den Arzt gefragt. »Ist es schlimm?«
Der Arzt hatte sie von der Seite angesehen und ausweichend gesagt: »Wir müssen es abwarten. Morgen werden wir weitersehen. Gehen Sie ruhig nach Haus – hier ist er gut aufgehoben. Wir sehen schon nach ihm.«
»Ich kann doch nicht nach Haus gehen!«, hatte sie gerufen. »Ich muss doch bei ihm bleiben! Er liegt so da, Herr Doktor, weil er nicht wollte, dass mir etwas geschah! Ich muss bei ihm bleiben!«
Wieder sah der Arzt sie an. »Sie sind seine Frau? Oder die Schwester?«
Sie verschmähte jede Lüge. »Ich bin seine Freundin, Herr Doktor. Ich bin der einzige Mensch, den er auf Erden hat. Er muss mich sehen, wenn er wach wird!«
»Und wenn er wach wird, versprechen Sie mir dann in die Hand, dass Sie nicht mit ihm reden, dass Sie sofort die Nachtschwester rufen – versprechen Sie das?«
»Ich verspreche Ihnen das, Herr Doktor!«
»Gut, ich verlasse mich auf Sie! Ich werde Bescheid sagen, dass Sie hierbleiben dürfen.«
Der Arzt wandte sich zum Gehen. Noch einmal hielt erinne. »Sie wissen keine Angehörigen von ihm, die Sie benachrichtigen müssten?«
Sie erzitterte. Sie wollte ihn nicht fortgeben, in andere Hände – jetzt nicht! Er gehörte ihr allein.
»Ich weiß keine Angehörigen, die ich benachrichtigen muss«, sagte sie mit fester Stimme.
»Gut«, sagte der Arzt wieder. »Sie wissen, Sie haben nichts zu tun, als still an seinem Bett zu sitzen, still und stumm.«
»Still und stumm«, wiederholte sie, und der Arzt war gegangen. So saß sie denn an der Seite des Bettes und sah in dieses Gesicht, das ihr lieber war als alles in der Welt. Sie hatte es freudig gesehen und mutlos, strahlend, leuchtend vor Glück und voll Angst – nun war es gelblich weiß, die Lippen bewegten sich nicht, kaum war der Atem zu spüren, die Lider zuckten nicht.
Er lag da, wie er von der Kiste getroffen war, ohne Leben, wie ein Baum dahingestreckt daliegt, den die Axt des Holzfällers umgelegt hat. Es ist alles noch da, Äste, Stamm und Blätter – aber das Leben fehlt. Das Leben ist nicht mehr da!
Sie erinnerte sich gut, wie schwach er gewesen war, als er zu ihr kam, verkümmert, erstickt im Unterholz. Mit unendlicher Geduld hatte sie ihn frei gemacht, dass er Luft und Sonne zu spüren bekam. Er war in den letzten Monaten gewachsen, er war ein gesunder, starker Baum geworden – und nun lag er so da!
Sie starrte in sein Gesicht, sie vergaß das Verbot des Arztes, sie flüsterte leise und dringlich: »Hannes! Liebster Hannes!«
Sie legte ihre Hand auf seine: nichts, keine Antwort, kein Echo.
Die Nachtschwester kommt herein, Hanne zieht erschrocken ihre Hand zurück. Die Schwester wirft einen Blick auf die stumme Gestalt und fragt: »Er hat sich nicht gerührt?«
»Nichts. – Ach, Schwester ...«
»Ich muss jetzt die Temperatur messen«, sagt die Schwester.
Sie legt das Thermometer ein, zählt mit ihrem Sandührchen den Puls. Mit angstvoll geweiteten Augen verfolgt Hanne Lark jede Bewegung. Die Schwester malt Zeichen auf eine Tabelle über dem Bett, vergeblich versucht Hanne Lark, sie zu lesen.
»Ach, Schwester«, sagt sie bittend. »Wie geht es? Hat er Fieber?«
»Es steigt«, sagt die Schwester. »Aber das kann nicht anders sein. Wenn er sehr unruhig wird, rufen Sie mich, ja?«
Und wieder ist Hanne Lark mit dem Kranken allein.
Sie versteht es nicht, dass nichts mit ihm geschieht. Er ist doch schwer verletzt, er atmet kaum, er hat Fieber – und nichts geschieht mit ihm. Sie lassen ihn einfach liegen, sie geben ihm nicht einmal Medizin!
›Ach, wenn ich doch reich wäre!‹, wünscht sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben. ›Ich ließe die besten Ärzte kommen.
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