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Dies Herz, das dir gehoert

Dies Herz, das dir gehoert

Titel: Dies Herz, das dir gehoert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Verwandte hätte. Wir wollen ja hoffen, dass es gut mit ihm ausgeht, aber wenn es anders würde und da wäre irgendein alter Vater oder eine Mutter und siehätten nicht einmal mehr ihren Sohn – vorhersehen dürfen, wäre das recht?«
    Er sieht sie mit seinen starken Augen bezwingend an.
    Dann: »Ich versteh es ja. Er ist vielleicht zerfallen mit ihnen, gerade Ihretwegen vielleicht, und nun fällt es Ihnen schwer, den ersten Schritt zu tun. Aber, Fräulein, es muss sein. So wahr Sie ein anständiger Mensch sind, es muss sein!«
    »Seit langer Zeit«, antwortete sie, »schon lange, ehe er mich überhaupt kannte, ist er nicht mehr bei denen zu Haus gewesen: er wollte es nicht. Sie haben ihn fortgetrieben, und ich habe ihn kennengelernt als den, zu dem sie ihn gemacht hatten: willenlos, ohne Mut und Glauben, schwach, mit sich und aller Welt zerfallen. So kam er zu mir. Und ich habe ihn zu dem gemacht, was er dann wurde: mutig, stark, froh, gläubig. Alles ist ihm durch mich geworden, was ihn zu einem Mann machte – die haben ihn als ein verzärteltes Kind in die Welt geschickt.«
    »Trotzdem!«, sagte der Arzt. »Er ist jetzt weder Kind noch Mann, er ist ein schwer Kranker. Seine Eltern müssten hier sein.«
    »Er hat nur noch eine Mutter. Und einen Bruder. Aber er ist selber geflohen vor ihnen. Er sah sie einmal zufällig, Herr Doktor, es ist noch gar nicht so lange her. Er ist vor ihnen in sinnloser Angst geflohen. Er würde selber nicht wollen ...«
    »Sie denken immer nur an ihn. Und an sich. Sie müssen auch an seine Mutter denken. Was die fühlt ...«
    »Ich bin seine Mutter! Ich bin ihm alles geworden, seine Heimat, sein Glück. – Und er alles für mich. Das sind fremde Menschen für ihn.«
    Der Arzt sah sie schweigend an. Dann wandte er den Blick von ihr ab und richtete ihn auf den Kranken. Es war,als habe das eilige, leise Sprechen seine Unruhe verstärkt, der Kopf bewegte sich rascher, er sprach lauter mit sich.
    Der Arzt neigte seinen Kopf und hörte schweigend zu. Auf der andern Seite des Bettes stand Hanne und lauschte auch.
    Plötzlich hob der Arzt den Kopf und sagte zu dem Mädchen mit einem schwachen Lächeln: »Und doch spricht er jetzt im Fieber nicht von Ihnen, sondern von seiner Mutter.«
    Sie machte eine abwehrende, verneinende Gebärde mit den Händen und lauschte weiter. Dann hob sie den Kopf und sah den Arzt an. »Nein«, sagte sie. »Er spricht nicht von seiner Mutter. Er schraubt wieder Muttern auf.«
    Der Arzt machte eine Bewegung.
    »Ich will es Ihnen erklären, Herr Doktor. Ich habe es hundertmal gehört, wenn er im Schlaf davon sprach, und er hat es mir manchmal erzählt. Drüben in den Staaten hat er in einer Autofabrik gearbeitet, am fließenden Band, wissen Sie«, der Arzt nickte, »und da hat er nie etwas anderes tun müssen als acht Muttern auf den Motor aufsetzen, Stunde für Stunde, Tag für Tag, Woche für Woche. Und wenn er es nicht schaffte, schalten sie mit ihm und drohten ihm mit Entlassung. Es ging ihm damals sehr schlecht, Herr Doktor.«
    »Und jetzt setzt er also immer noch Muttern auf«, sagte der Arzt. »Sind Sie nie auf den Gedanken gekommen, Fräulein, dass er seine Arbeit mit den Muttern vielleicht nur darum so schlecht schaffte, weil er auch seiner Mutter gegenüber versagt hat? Es gibt so seltsame Zusammenhänge ...«
    Sie sah ihn an, betroffen und zweifelnd, sie schwieg.
    »Also benachrichtigen Sie seine Mutter«, sagte der Arzt abschließend.
    »Aber warum muss es jetzt sein, jetzt, wo er krank undschwach ist? Sie kennen mich nicht, Herr Doktor, aber Sie müssen es mir glauben, ich habe immer, seit ich alles wusste, bei ihm dahin gestrebt, dass er sich aussöhnte mit ihr. Wäre er stark und gesund – wie heute Abend noch, ich riefe sie sofort. Aber jetzt, wo er wehrlos ist, warum gerade jetzt?«
    »Weil es morgen vielleicht zu spät ist«, sagte der Arzt.
    Er beugte sich über das Bett, nahm des Mädchens Hand und sagte: »Seien Sie stark. Sie müssen stark sein. Gehört er Ihnen so ganz, wie Sie glauben, so werden Sie ihn nicht verlieren. Geht es aber schlecht aus mit ihm, so würden Sie nie ohne Beschämung an ihn denken können, wenn Sie in dieser Stunde versagt haben.«
    Sie ließ ihre starke, fleißige Hand willenlos zwischen seinen Händen. Sie sah auf den Kranken herunter.
    Nach einer Weile sagte sie leise: »Vorhin, als ich alleine mit ihm hier war, habe ich mich damit getröstet, dass das erste Gesicht, in das er wieder sehen wird, meines ist, mein die

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