Dies Herz, das dir gehoert
wartet«, erklärt Hanne und zieht ihr Jackett an.
»Na, denn viel Vergnügen, Fräulein«, sagt Herr Pottschmidt und schaukelt davon.
Wie Hanne nun auch gehen will, taucht plötzlich die Tante vor ihr auf.
»Guten Abend, Tante Gustchen«, sagt Hanne ein wenig verwundert.
»Tu mir eine Liebe«, sagt die Tante kläglich. »Frag mich nichts, aber geh heute mit mir nach Haus.«
»Zu dir?«
»Ja, zu mir!«
»Aber warum denn?«
Trotz ihres Kummers fängt die Tante an, sich schon wieder über ihre Nichte zu ärgern. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst mich nichts fragen!«, schilt sie.
»Aber das geht doch nicht, Tante Gustchen!«, sagt Hanne. »Du weißt doch, ich werde erwartet ...«
»Du kannst ihn ruhig einmal warten lassen, Hanne. Du weißt doch: das ist keine Sünde ...«
»Ach, Tante ...«, sagt Hanne bloß.
Sie ist jetzt fest davon überzeugt, die Tante will sie bloß darum in ihr Heim verschleppen, um sie zu einem sündenlosen Leben zu bekehren. (Tante Gustchen muss eine Hilfskraft sehr nötig haben ...)
»Also, kommst du mit mir?«, fragt die Tante.
»Nein«, sagt Hanne. »Ich will ihn lieber doch nicht warten lassen!«
»Na, denn nicht!«, ruft die Tante ärgerlich. »Ihn habe ich gewarnt, dich habe ich gewarnt, aber wenn ihr denn durchaus in euer Unglück rennen wollt ...«
»In unser Glück, Tantchen!«, sagt Hanne und geht. (Tante und Nichte haben wirklich sehr wenig Geduld miteinander.)
Hanne also geht. Sie geht grade auf den Ausgang zu, den Mittelgang hinauf.
Hoch oben über diesem Ausgang, in der Giebelspitze, ist die große Hallenuhr, die alle Viertelstunde ein wenig blechern anschlägt. Und zwischen Ausgangstür und Uhr läuft ein eiserner Umgang, auf dem es auch Stände gibt und auch kleine Kontore und auch Kistenstapel.
Die Tante ist auf dem Mittelgang stehengeblieben und sieht der Nichte gespannt nach. Ärger und Angst bewegen ihr Herz. Die Angst möchte sie die Nichte zurückrufen lassen, der Ärger versiegelt ihr den Mund. ›Lass sie nur gehen!‹, denkt sie. ›Sie will es ja nicht anders. Ich habe alles getan ...‹
Hart am Eisengitter des Umlaufs steht ein hoher Kistenstapel. Das soll nicht sein, aber auch ein Markthallenaufseher kann nicht überall sein. Er kann auch nicht sehen, was nachträglich, nach seinem Fortgang, geschieht, dass zum Beispiel eine Kiste ziemlich weit über das Geländer vorsteht, so weit, dass sie leise schwankt wie eine Kippe ... Das kann jetzt niemand mehr sehen, dafür ist es zu dunkel ...
Hanne Lark also geht auf diesen Ausgang zu, ziemlich rasch, denn Hannes hat nun wirklich lange genug gewartet.
Und die Tante starrt ihr nach.
Und Johannes Wiebe geht im Seitengang, nur durch zwei Standreihen von Hanne getrennt, auch auf den Ausgang zu. Er hat ein Stück von der Unterredung zwischen Tante und Nichte mit angehört, seine Unruhe hat sich verstärkt. Er geht noch schneller als Hanne, er will sie unter der Tür treffen.
Und die Kiste oben schwankt leise ...
Hanne ist fast an der Tür, da hat in Tante Gustchen die Angst gesiegt, sie schreit mit lauter Stimme: »Hanne! Hanne Lark! Komm zurück!«
»Ja?«, fragt Hanne und dreht sich um.
»Hier bin ich, Hanne«, ruft Johannes Wiebe leise.
In demselben Augenblick fährt er zusammen. Er hat oben ein Prasseln, ein Knirschen, ein Knacken gehört – er versteht nicht, was das sein kann. Aber ohne zu verstehen, stürzt er auf Hanne zu.
Hanne bekommt von ihm einen Stoß, dass sie weit forttaumelt, hinschlägt ...
Und dann ein fürchterliches Krachen, Holz splittert, eine Stimme schreit seufzend: »O Gott!«
Diese Stimme, seine Stimme – mit einem Satz ist Hanne wieder auf den Beinen, stürzt zurück, fällt über die zerbrochene Kiste, aus der Konservenbüchsen polternd hervorrollen, fällt neben ihm hin.
»Hannes!«, schreit sie, »Liebster Hannes!«
Und fühlt die feuchte Wärme an ihren Händen.
»Licht!«, schreit sie. »Hannes! Sag was! Hannes!«
Durch die Halle, an ihr vorbei, stürzt Frau Mahling. Sie sieht nichts, sie hört nichts mehr. Sie flüstert vor sich hin: »Gott, vergib mir meine Sünden! – Gott, vergib mir meine Sünden! – Gott, vergib mir meine Sünden!«
Immer wieder. Immer wieder.
Und verschwindet in die Stadt hinein.
Und oben schleicht etwas im Dunkeln, bewegt sich lautlos wie eine Katze, tut ein paar Schritte, lauscht, schleicht weiter. Ein Lichtschein durch die Fenster erhellt das Gesicht von Emil Schaken, mit dem Zigarrenstummel im Mundwinkel, unverändert, mit
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