Dies Herz, das dir gehoert
denen die Obstkisten herangerollt werden, rufen laut ihr »Vorsicht! He! Sie da, passen Sie doch uff!«.
Wie alle Tage steht Hanne Lark an ihrem Stand, fragt und gibt Auskunft, wiegt ab, wechselt Geld – immer dasselbe. Aber seit drei Tagen hat sie nichts mehr, auf das sie sich freuen kann, hinter einem langen Arbeitstag steht keinfröhlicher Feierabend. Alles still um sie, in ihr. Arbeit nur um der Arbeit willen getan, grauer Nebel, Windstille ...
Alles wie sonst – dieselben Kunden, dieselben Fragen, die gleiche Arbeit. Die da kommen und gehen, haben nie etwas von einer Kiste, die herabstürzte, gehört, nichts von einem Unglücksfall. Und die Hallenleute selbst, die davon gehört haben, mögen wohl davon reden, aber die Hanne sehen sie nur von der Seite an, und mit ihr sprechen sie kein Wort davon.
»Se warn ja nich mal valobt«, gibt eine Frau die Meinung vieler wieder. »Wat soll man da viel fragen? Valleicht is et ihr bloß jenierlich.«
Stille also. Warten – aber es gibt doch Änderungen. Wenn Hanne auf den Stand gegenüber sieht, merkt sie, dass er heute nun schon den dritten Tag geschlossen ist. Frau Mahling kommt nicht mehr in die Halle. Hanne könnte sich darüber Gedanken machen, vielleicht käme ihr dann vieles recht sonderbar vor, wenn sie an jene Gespräche mit der Tante denkt und an ihr Ausbleiben jetzt.
Aber all das interessiert Hanne nicht. Was liegt daran. Allein daran kann etwas liegen, dass Hannes wieder zurechtkommt. Aber davon hört sie nichts. Kein Wort. Nebel.
Also eine Änderung ist jedenfalls da: der Mahling’sche Stand ist geschlossen. Und es gibt noch eine Veränderung, die Hanne freilich nicht recht zu Bewusstsein kommt.
Da tritt zum Beispiel ein älterer Herr an ihren Stand und verlangt zwei Pfund von dem Gravensteiner Apfel, den er vorige Woche gehabt hat.
Hanne tut es leid, mit den Gravensteinern ist es jetzt vorbei, aber sie haben eine sehr schöne Orangen-Renette – ob die der Her mal probieren will?
Ja, der Herr will das. Er nimmt den Apfelschnitz, denihm Hanne herüberreicht, er probiert, er sagt: »Ja, die ist gut. Die nehm ich. Also zwei Pfund.«
Und plötzlich beugt sich der Herr weit vor über die Apfelkörbe und fragt Hanne flüsternd: »Fräulein, ist Ihnen was?«
Sie sieht ihn an.
Er ist ein älterer, ein bisschen dick gewordener Herr mit einem richtigen Schnurrbart, dunkel angezogen, mit einem Einholnetz in der Hand. Vielleicht ein pensionierter Lehrer. Jedenfalls ist es eins von den Gesichtern, die man sich schwer einprägt, ein Gesicht wie alle. Ein bisschen zerknautscht vom Leben, aber im Ganzen doch trotz aller Falten freundlich geblieben.
Hanne weiß wohl, er ist öfter an ihrem Stand gewesen, aber an etwas anderes erinnert sie sich bei ihm nicht.
Und dieser ältere Herr fragt sie nun, ob ihr was ist ...
»Nein«, antwortet sie ein wenig verwundert. »Mir ist nichts. Wieso?«
»Weil Sie gar nicht mehr lächeln, Fräulein! Sie haben gutes Obst, Fräulein, alles, was recht ist, wenn’s auch manchmal ein bisschen teuer ist. Aber wegen des Obstes allein mache ich mir wirklich nicht den weiten Weg ganz oben aus der Frankfurter Allee her. Den mach ich, weil Sie so hübsch lächeln.«
Ein bisschen Wärme zieht durch Hannes Herz. »Ja«, sagt sie, »man kann nicht alle Tage lächeln.«
»Sie haben wohl Sorgen, Fräulein?«, flüstert der Alte über die Apfelkörbe weg. »Ist er untreu? Aber nein, das kann Ihnen wohl nicht passieren!«
»Nein, er ist nicht untreu«, sagt Hanne und lächelt nun wirklich ein wenig. »Aber er ist krank, sehr krank!«
»Er wird schon wieder werden!«, tröstet der alte Mannhastig und drückt ihr plötzlich eifrig, eindringlich die Hand. »Bestimmt wird er wieder! Und dann lächeln Sie mich auch wieder ein bisschen an, Fräulein, was? Alles muss er ja nicht allein kriegen, nicht wahr?«
Und damit drückt er ihr noch einmal die Hand. Sie lächelt ihn vage an, durch einen leisen Tränenschleier.
Er geht. Ein Herr, dem sie etwas ist, vielleicht freut sich dieser alte pensionierte Lehrer auf jeden Dienstag und Freitag, wenn er sie in der Halle sieht. Das ist etwas ... Man kann nicht leben davon, zu einer Lebensfreude reicht es nicht aus, aber etwas leichter macht es doch das Herz.
Nun kommt eine Alte, die kennt Hanne Lark ganz genau. Es ist so ein schiefes, altes Reff mit einem hageren Gesicht, flinken frechen Augen. Hanne Lark sieht sie gar nicht gerne an ihrem Stand. Immer hat sie zu mäkeln, schelten, meckern, sie
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