Dies Herz, das dir gehoert
und du siehst lieber bei allen Menschen das Schlechte als das Gute – aber schlecht, Guste, schlecht bist du bestimmt nicht!«
»Doch, doch, ich habe auf dem Gang gestanden und habe ihr nachgesehen und habe gedacht: jetzt passiert was. Aber ich habe nicht wirklich geglaubt, dass was passiert, ich hatte nur solche Angst ...«
»Und dann?«
»Dann habe ich sie noch zurückgerufen, da fiel die Kiste schon ... Und da fing sie an zu schreien ...«
»Und du?«
»Ich bin weggelaufen, ich weiß nicht, wohin. Ich habe nur daran gedacht, ob mir Gott wohl meine Sünden verzeiht. Plötzlich habe ich gewusst, dass ich schlecht bin. Ich war amSchlesischen Bahnhof, da habe ich mir wohl eine Fahrkarte kaufen wollen und wegfahren von allem ... Aber ich weiß es nicht mehr. Ein Schupo hat mich gefragt, was ich da mache, und hat mich wieder nach Haus geschickt.«
»Und dann?«
»Dann hat Emil Schaken hier vor der Tür gestanden und hat Geld von mir verlangt. Ich habe es ihm gegeben, dass er bloß ging. Und dann bin ich hier heraufgekommen, und du hast mich ins Bett gebracht. Aber ich kann nicht schlafen, ich kann nie wieder schlafen. Und wenn ich einschlafe, höre ich das Krachen von der Kiste und die Schreie, und nun klingelt das Unfallauto ...«
»Komm, Guste«, sagte ihr Mann mit einer ganz ungewohnten Entschiedenheit in der Stimme. »Heul nicht mehr. Du hast getan, was du konntest. Keiner kann aus seiner Haut, das werden die Herren auch verstehen.«
»Ich bin schlecht ...«
»Komm, wir müssen wirklich zur Polizei, damit du Ruhe bekommst und dass sie ihn kriegen. Hab bloß keine Bange – was soll dir viel geschehen? Schade ist’s um den jungen Menschen, Hannes Freund, das war ein netter Mensch, aber das hilft nun nichts? – Komm, Guste!«
»Und du gehst mit?«
»Ich geh mit. Natürlich geh ich mit dir, Guste. Ich bleib bei dir. Ich sitz dabei, wenn du deine Aussage machst, und höre, Guste, wenn sie dich dabehalten. Es kann ja nur ein paar Tage sein, dann besuch ich dich!«
»Also, komm, Oskar. Was bin ich froh, dass ich wenigstens einen Menschen habe!«
Stummes Begegnen
Als sie vom Telefon zurückkam, war ihr Schritt bestimmter geworden, ihr Auge weinte nicht mehr. Sie hatte sich entschlossen, und wie nun auch die Folgen dieses Entschlusses für sie sein mochten, sie würde sie tragen.
Vor der Tür seines Zimmers zögerte sie einen Augenblick. Dann wandte sie sich ab und setzte sich auf einen Stuhl, der auf dem Gang stand. Dort saß sie still, die Hände in den Schoß gelegt, den Blick auf die Uhr geheftet, deren Zeiger sich langsam auf die Mitternachtsstunde zubewegten.
Nach einer Weile öffnete sich die Tür des Krankenzimmers, und der Arzt trat heraus. Sie sah ihm, ohne aufzustehen, entgegen, ein schwaches Lächeln um den Mund.
»Nun?«, fragte der Arzt und blieb vor ihr stehen.
»Sie wird gegen zwölf hier sein.«
»Gut«, sagte der Arzt.
»Herr Doktor«, sagte sie leise. »Ich habe ihr nicht gesagt, wer sie anruft. Sie glaubt, es war das Krankenhaus. Ich möchte nicht, dass sie jetzt etwas von mir erfährt.«
»Nein?«, fragte der Arzt.
»Sie soll allein mit ihm sein. Sie soll nichts von mir wissen.«
»Sie wollen gar nicht mit ihr reden?«
»Noch nicht, Herr Doktor, ich kann es nicht, ich will nicht in Gnaden aufgenommen werden, bloß weil es ihm schlechtgeht. Ich bin zu stolz auf ihn und was wir einander sind, als dass ich bloß geduldet werden möchte.«
Sie schwieg.
Dann: »Später, wenn es ihm bessergeht, soll er selber wählen. Wenn er mich ruft, Herr Doktor, jede Minute ... Nicht anders.«
»Ich verstehe das«, sagte der Arzt.
»Sie werden ihr nichts sagen?«
»Ich werde ihr nichts sagen.«
Eine Pause entstand.
Dann fragte der Arzt: »Wollen Sie nicht noch einmal zu ihm hinein?«
»Nein«, sagte sie. »Ich habe meinen Abschied genommen. Ich habe ihn in mir.«
Sie schwiegen.
Dann entstand Bewegung am Ende des Ganges. Von einer Schwester geführt, kam eine große, weißhaarige Frau auf den Arzt zu.
Hanne Lark steht auf von ihrem Stuhl. Die Dame sieht sie nicht, sie eilt auf den Arzt zu.
Hanne Lark nickt, sie sagt: »Ich danke Ihnen auch schön, Herr Doktor, für alles.«
Der Arzt hört sie schon nicht mehr, er hat sich der Mutter zugewendet.
Aneinander vorbei gehen die beiden Frauen, ohne sich anzusehen.
Eine kommt, eine geht.
Das verschwundene Lächeln
In der Halle ist es wie alle Tage. Die Kunden kommen und gehen, die Kontrollkasse klappert und klingelt. Die Männer, von
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