Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dies Herz, das dir gehoert

Dies Herz, das dir gehoert

Titel: Dies Herz, das dir gehoert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
mir das sagen, Schwester?«
    »Ich weiß nicht – vielleicht der Arzt.«
    Frau Wiebe legt das Buch aus der Hand. Sie sagt ein wenig ungehalten zur Schwester: »Ich möchte wirklich wissen, wer mich angerufen hat. Ich frage jeden Menschen hier danach, und keiner will Bescheid wissen. Auch nicht Oberarzt Leer. Es war eine weibliche Stimme ...«
    »Bitte, ein wenig leiser, gnädige Frau«, sagt die Schwester mit der leidenschaftslosen Stimme ihres Berufes. »Er schläft heute nicht so fest.«
    »Wenn er doch endlich aufwachte! Jetzt sitze ich hier drei Tage und habe noch kein Wort zu ihm sprechen können!«
    »Er muss aber von selbst erwachen, gnädige Frau. Nicht durch Geräusche von außen.«
    Mit einem Achselzucken nimmt Frau Wiebe das Buch wieder auf, setzt sich auf die Couch und beginnt zu lesen.
    Es klopft kurz gegen die Tür, und der Arzt tritt ein. Es ist der dicke Doktor, Oberarzt Leer, der Hanne Lark dazu brachte, Frau Wiebe zu rufen.
    »Nun«, sagt er, »wie sieht es hier aus? Guten Tag, gnädige Frau. Zeigen Sie mir mal die Kurve, Schwester. Das ist ja ganz erfreulich. Sehen Sie, er reagiert schon etwas, wenn ich jetzt sein Lid hochziehe.«
    »Oh, stören Sie ihn nicht, Herr Doktor«, bittet Frau Wiebe plötzlich.
    »Tja«, sagt der Arzt, »morgen oder heute vielleicht noch ist es nun so weit. Er schlägt die Augen auf und befindet sich wieder in der Welt mit all ihren Problemen. – Das geht einem Genesenden immer schwer ein.«
    »Es gibt gar keine Probleme für ihn, Herr Doktor«, erklärt Frau Wiebe mit Bestimmtheit. »Sobald er transportfähig ist, schaffe ich ihn zu uns. Er soll die beste Pflege haben, Sie als Betreuer« – der Arzt lächelt vage –, »es wird alles getan werden, um ihn rasch wieder auf die Beine zu bringen!«
    »Natürlich«, sagt der Arzt trocken. »Und wohin werden ihn dann seine Beine tragen?«
    Dies ist eine Frage, die Frau Wiebe ein wenig hart vorkommt.
    »Ich habe Ihnen erzählt, Herr Doktor Leer«, sagt sie etwas spitz, »dass der Junge uns aus dem Hause gelaufen ist und lange Zeit fort war. Er hat es nicht über sich bringen können, wieder den ersten Schritt zu uns zu tun. Nun habe ich ihn getan – er wird glücklich sein, wieder zu Hause sein zu können.«
    »Aber der Junge, der fortlief, kommt nicht wieder nach Haus!«, sagt der Arzt eifrig. »Liebe gnädige Frau«, fährt er fort, als sie ihn verständnislos ansieht, »er muss sich doch verändert haben, jedenfalls ist er kein Junge mehr ...«
    »Auch der erwachsene Mann bleibt seiner Mutter Kind ...«
    »Für seine Mutter ja. Wie er aber darüber denkt, ist eine andere Sache. – Überlegen Sie einmal, er hat hier in Berlin gearbeitet, vielleicht lange Zeit, jedenfalls ist er in der Markthalle verunglückt. Es ist doch wohl fast unmöglich, dass er in dieser Zeit ganz ohne Menschen gelebt haben soll. Er sieht nicht aus wie ein Einsiedler. Er wird Bekanntschaften, vielleicht Freundschaften geschlossen haben – er hat auch weiter in der Welt gelebt, gnädige Frau ...«
    »Aber worauf wollen Sie hinaus, Herr Doktor Leer? Das ist ja alles gut möglich, aber was hat das mit mir zu tun?«
    »Sie werden ihn fragen müssen, gnädige Frau, ob er nach Haus gebracht werden will, das meinte ich!«
    »Aber das ist doch selbstverständlich! Lieber Herr Doktor, ein kranker Sohn gehört in das Haus seiner Mutter. Wenn er wieder wohl genug ist, soll er ruhig seine Freundschaften weiterpflegen – wenn er dann noch mag.«
    Der Arzt bewegte zweifelnd die dicken Schultern.
    »Aber, Herr Doktor, ich verstehe Sie nicht. Ich habe Ihnen doch erzählt, er war ein verwöhnter, weicher Junge, ein richtiges Muttersöhnchen, soweit ich ihm das erlaubte. Er wird froh sein, wieder ein bisschen geborgen zu sitzen, sich helfen lassen zu können ...«
    »Aber er hat sich lange allein geholfen! Sehen Sie diese Hand, gnädige Frau!«, sagte der Arzt und nahm sachte die Hand des Kranken in seine. Er drehte sie um. »Haben Sie nicht darauf geachtet, wie viel Narben sie hat? Keine großeVerletzung, nein, aber all die kleinen Narben einer Hand, die schwere tägliche Arbeit tun musste. Es sind ziemlich frische Narben darunter. Da, sehen Sie, das sieht aus wie ein Riss von einem Nagel, schlecht verheilt. Er hat wohl nicht Zeit und Gelegenheit gehabt, der kleinen Wunde viel Aufmerksamkeit zu schenken. Wer so gearbeitet hat, ist kein Junge mehr, der sich gerne bemuttern lässt ...«
    »Ich habe das Gefühl, Herr Doktor«, sagte Frau Wiebe, »Sie wollen mich

Weitere Kostenlose Bücher