Dies Herz, das dir gehoert
haben ihn jetzt.«
»Wen?«
»Ihn, den Emil Schaken! Sie haben ihn festgenommen.«
»Ja?«, fragt Hanne interesselos.
»Er hat auch gestanden«, sagt die Tante wieder nach einer Pause.
»Ach, Tante«, sagt Hanne plötzlich, »du meinst es wohl gut – aber ist es jetzt nicht gleich? Was geht mich Emil Schaken an? Er allein geht mich was an, dass er wieder was wird! Er muss wieder gesund werden!«
»Kind«, widerspricht die Tante. »Er muss doch seine Strafe haben!«
»Seine Strafe? Wird er davon gesund? Es ist mir gleich, wie so einer lebt! Aber er, er!«
Die Tante zieht langsam ihre Hand aus der umklammernden der Nichte. Trotz allem guten Willen bleiben Welten zwischen ihnen.
»Solange Leben ist, ist Hoffnung«, sagt sie ein wenig verlegen und geht zurück an ihren Stand.
Die beiden vermeiden es nun, sich wieder anzusehen. Sie sind einander so fremd!Später am Nachmittag kommt Marie Jäckel bei Hanne vorbei.
»Ich muss jetzt nur noch zu einer Kundin auf Anprobe«, sagt sie. »Aber dann gehe ich gleich ins Krankenhaus und erkundige mich.«
»Bis halb acht bin ich hier, Marie«, sagt Hanne. »Wird es später, kommst du direkt in die Wohnung ...«
»Ja. Ach, wenn ich dir doch heute gute Nachrichten bringen könnte!«
»Ja. Wenn du doch ... Ja.«
Sie sucht unter dem Tisch ihres Standes und bringt einen kleinen Strauß Veilchen zum Vorschein.
»Nimm sie mit. Gib sie heimlich der Schwester. Aber heimlich, Marie! Die sollen nichts merken. Er ist so klein, er wird unter den andern Blumen nicht auffallen.«
»Nein. Der Arzt hat gefragt, warum du gar nicht kommst?«
»Ich habe zwei Ärzte gesehen – einen langen und einen dicken. Welcher hat gefragt?«
»Der dicke!«
»Ach, er weiß doch ... Er soll mich nicht quälen! Sie ist doch immer da!«
»Ja, sie schläft auch dort.«
»Sie schläft ...«
»Das sage ich dir, Hanne, wenn du es noch lange so weitermachst, so spreche ich mit ihr!«
»Du hast mir versprochen, Marie ...«
»Aber du musst auch nicht unvernünftig sein, du machst dich hin. Die ganze letzte Nacht bist du auf und ab gegangen, ich habe es wohl gehört.«
»Wenn er nur ein einziges Mal wieder zu mir ›Hanne‹ sagte, wäre alles Unglück vergessen.«
»Er wird es wieder sagen! Er wird es dir hundertmal, tausendmal noch sagen, Hanne!«
Sie bewegt den Kopf zweifelnd hin und her.
»Wenn ich bei ihm hätte sitzen bleiben dürfen. Aber so ... Nein, geh, Marie, du musst zu deiner Kundin, und ich muss meine Arbeit tun.«
»Also auf heute Abend!«
»Guten Abend, ja!«
Erwachen
Johannes Wiebe schläft seinen bewusstlosen Schlaf nicht mehr in dem früheren schmalen Krankenzimmer. Jetzt liegt er in einem großen hellen Raum. Durch die Scheiben dringt viel Licht, auf dem Liegebalkon vor dem Fenster stehen viele Blumen, die herbstlich gefärbten Baumkronen des Krankenhausgartens sind zu sehen.
Auch das Zimmer ist kein nüchternes Krankenzimmer mehr. Frau Wiebe hat alles getan, um in dem wiedergefundenen Sohn beim Erwachen freundliche Erinnerungen zu wecken: an den Wänden hängen ein paar von seinen liebsten Bildern, in einem Bücherregal an der Wand stehen seine Dichter wie damals, als er sie verließ.
In der vorbildlichen Haltung der alten Generation, die sich nie »gehen« ließ, sitzt Frau Wiebe an der einen Seite des Bettes, mit geradem Rücken, ungebeugtem Haupt – aber sehr weißem, stillem Gesicht. Sie sieht zu der Schwester hinüber, die auf der andern Seite des Bettes sitzt und strickt.
Nach einer Weile sagt sie: »Er schläft entschieden ruhiger, Schwester Karla!«
Schwester Karla zählt erst ihre Tour zu Ende. »Siebenunddreißig, achtunddreißig, neununddreißig, vierzig ...«
Dann sagt sie: »Ja, gnädige Frau, das Fieber ist ja auch zurückgegangen.«
Wieder Schweigen, noch vertieft durch das metallische Klirren der Nadeln.
Schließlich sagt Frau Wiebe: »Wenn er nur etwas essen würde!«
»Das ist nicht so schlimm, gnädige Frau! Er wird schon wieder essen, wenn er erst bei Besinnung ist.«
Und wiederum Schweigen.
Frau Wiebe steht auf. Sie geht zu einem Tischchen, das neben einer Chaiselongue steht, nimmt ein Buch auf, blättert gedankenlos darin und fragt dabei, über die Seiten des Buches fort: »Woher wußten Sie eigentlich meine Adresse? Er war doch schon bewusstlos, als er hier eingeliefert wurde?«
Das Gesicht der Schwester wird verschlossen. Sie sagt, ohne aufzusehen: »Das kann ich nicht sagen, gnädige Frau. Ich hatte keinen Nachtdienst.«
»Und wer kann
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