Dies Herz, das dir gehoert
möchte die Waage hypnotisieren, und es ist ihr nicht abzugewöhnen, dass sie Obst und Gemüse gründlich abtastet, knautscht, drückt, was doch alles streng verboten ist.
»Hören Sie, Fräulein«, legt sie gleich angriffslustig los, »bei allen kostet der Rotkohl acht Pfennige das Pfund und bei Ihnen neun, det erklären Se mir mal!«
»Wollen Sie denn Rotkohl kaufen?«, fragt Hanne, die ihre Kundin kennt.
»Nee, nich die Bohne! Wat soll ick mit Rotkohl, for mir is weißer jut jenug! Aber det macht keenen Schiedunter! Wieso, erklären Se mir das mal ...«
»Also, ich gebe Ihnen den Rotkohl auch für acht Pfennig«, sagt Hanne Lark, die keine Neigung für eine lange Streiterei hat.
»So? Tun Se det? Wo ich Ihnen jesacht habe, ich will gar keenen! Det sind faule Mätzchen, Frollein! Ick will det wissen, wieso! Det is mein Recht als deutsche Volksgenossin –oder ich gehe zur Hallenaufsicht. Ich finde det einfach unerhört.«
»Ach, bitte, bitte«, sagt Hanne plötzlich, deren Nerven nachgeben. »Wollen Sie nicht ein andermal mit mir schelten? Ich kann es heute nicht hören! Mir ist wirklich nicht gut.«
Das hagere Gesicht mit den frechen kleinen Augen verändert sich plötzlich – plötzlich sehen die Augen scheu aus.
»Reden Sie doch nicht, Frollein! Ick sag ja keenen Ton! So, hat Sie’s ooch gehascht? Ja, det lässt keenen aus! Ick jeh schon, Frollein, ich will gar nichts von Sie. Ich weeß andere, wo ick meine Galle loswerden tu – wenn Se erst so zusammengekloppt sind wie ick, wern Se det vastehen!«
Und dieses alte, schiefe, gallige, freche Reff lächelt doch plötzlich der Hanne zu! Es kann natürlich nichts anderes sein als ein Lächeln, wie wenn man auf eine Zitrone beißt, mehr ist nicht da, wie sie selbst sagt: zusammengeschlagen vom Leben – aber gut gemeint jedenfalls. Sehr gut gemeint, jeder nach seinen Kräften!
Und nun erscheint Pottschmidt der Große, der Schnaufende, erscheint im Vorbeigehen, um bei seiner Verkäuferin Erkundigungen einzuziehen.
»Na, Fräulein, was macht der Umsatz? Kleinigkeit zurückgegangen? Macht nichts! Trösten Sie sich, wir halten es aus! Hören Sie«, beugt er sich zu ihr und prustet ihr flüsternd ins Ohr, »morgen kriegen wir Zitronen. Fünfzig Kisten! Liegen schon auf dem Güterbahnhof. Das wird eine Sache! Die ersten Zitronen! Sie werden’s doch schaffen?«
»Natürlich, Herr Pottschmidt!«
»Na, so natürlich sehen Sie augenblicklich nicht aus, Fräulein, habe ich recht? Immer noch keine anderen Nachrichten?«
»Gestern Abend war er noch immer bewusstlos.«
»Und heute? Ist schon Mittag vorbei! Alle Tage nachfragen, dafür sind die da im Krankenhaus!«
»Meine Freundin will heute Abend mal nachfragen, Herr Pottschmidt!«
»Warum gehen Sie nicht selbst? Von mir aus können Sie Urlaub haben, alle Tage. Bloß nicht morgen, wenn die Zitronen kommen! Also gehen Sie heut!«
»Danke, Herr Pottschmidt. Ich bleibe lieber hier bei meiner Arbeit.«
»Haben Sie auch wieder recht! Arbeit ist immer das Beste. Die Nacht ist noch lang genug für Grübeln, habe ich recht?«
»Zu lang, Herr Pottschmidt!«
»Weiß ich! Ich weiß das doch! Ganz im Anfang hab ich mal einen Waggon angegangene Apfelsinen gekauft, ich hab doch tatsächlich drei Nächte kein Auge zugetan! Na, ich bin se nachher noch ganz gut an ’ne Marmeladenfabrik losgeworden – aber meine drei Nächte Schlaf waren futsch. Ich kenn das!«
Er sah geschäftig um sich.
»Sieh da! Frau Mahling ist wieder eingetroffen! Sieht nicht gut aus, die Frau, ich mach, dass ich wegkomm! Die ist nicht gut auf Sie zu sprechen, Fräulein, wenn sie auch Ihre Tante ist!«
Womit Herr Pottschmidt verschwindet.
Hanne Lark aber sieht zum Stand der Tante hinüber. Wirklich, sie ist wieder da, sie packt aus, sie richtet ein. Unwillkürlich nickt Hanne, als sich ihre beiden Blicke begegnen, und die Tante nickt trübe zurück. Einen Augenblick sehen sie sich so an, über die Hallengasse mit ihrer Kundschaft fort. Dann legt Frau Mahling das Stemmeisen, mit dem sie eine Kiste öffnete, aus der Hand.
Sie kommt quer über die Gasse an Hannes Stand.
»Hanne«, sagt sie und bietet ihr die Hand, »wollen wir wieder gut sein?«
»Ja«, sagt Hanne und nimmt die Hand.
Einen Augenblick stehen sie so, weiter wird nichts über die alte Feindschaft gesprochen.
»Hast du Nachrichten«, fragt die Tante schließlich zögernd.
»Er ist immer noch bewusstlos«, antwortet Hanne und sieht fort.
»Hanne«, sagt die Tante leise. »Sie
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