Dies Herz, das dir gehoert
›Ja‹ und ›Ich will es mir überlegen‹, aber es erfolgt nie etwas. Dass da der Betriebsrat ungeduldig wird ...«
»Um einmal von Ihnen zu reden, Herr Henning, sind Sie ein Vertreter der Arbeiterschaft oder des Arbeitgebers?«
»Ich bin ein Vertreter des Betriebes, Herr Wiebe!«, sagte der junge Mann trotzig.
»Und der Betrieb gehört ...«
»Der Betrieb ist nicht ohne die Arbeiterschaft möglich. Ich vertrete auch die Interessen der Arbeiter ...«
»Die Sie natürlich dafür bezahlen.«
»Nein, Sie bezahlen mich, Herr Wiebe! Und ich bin leichtsinnig genug gewesen, mir von Ihnen, als ich heiratete, ein Darlehen zu erbitten.«
»Ein jederzeit kündbares Darlehen, Herr Henning! Es ist gut, dass Sie mich daran erinnern.«
»Sie erinnern mich jeden Tag daran, Herr Wiebe!«
»Ich habe Sie noch nie gemahnt!«
»Eben erst, auf Ihre Art!«
»Wenn Ihnen meine Art nicht mehr gefällt, werden Sie sich einen gefälligeren Arbeitgeber suchen müssen, Henning.«
»Sie wissen sehr gut, dass ich das nicht kann, weil Sie mich ruinieren würden.«
»O nicht doch! Wie können Sie so etwas sagen! Trauen Sie mir das wirklich zu?«
»Sie sollten mich nicht auch noch verhöhnen!«
»Da fällt mir ein, dass dieses ganze Gerede sinnlos ist. Ich kann den Betriebsrat nicht empfangen, weil ich verreise.«
»Ich mache das nicht noch einmal, Herr Wiebe! Als ich das vorige Mal auf Ihre Weisung sagte, Sie seien verreist, sind Sie öffentlich im Betrieb umhergegangen! Vor allen stand ich als Lügner da!«
»Scheußlich, scheußlich! Aber morgen bin ich bestimmt verreist.«
»Ich glaube es Ihnen nicht! Sie ...«
»Ich verstand eben: Sie glauben es mir nicht?«
»Das tue ich auch nicht!«
»Sie wollen also, dass wir schon heute unsere kleine Abrechnung regulieren? Wenn ich mich recht erinnere, habe ich mir schon eine vollstreckbare Ausfertigung besorgt. Wir können morgen früh pfänden, Henning ...«
Eine kurze Pause entstand.
Die schleppende, spöttische Stimme hatte sich nicht einmal erhitzt, die junge aber war zehnmal brüchig geworden, war durch alle Register von der Verzweiflung bis zur offenen Widersetzlichkeit gelaufen. Jetzt sagte sie: »Ich weiß nicht ... ich will sehen ... Ach, es ist alles so schrecklich ...«
»Einen Augenblick«, sagte Frau Wiebe und trat ganz ein. »Sie können mit Recht sagen, dass mein Sohn morgen verreist ist. Er wird verreist sein. Ich werde den Betriebsrat morgen Nachmittag um vier sprechen.«
»Gnädige Frau!«, sagte der junge Mann und hatte plötzlich wieder Farbe. Er sah sie verwirrt an, dann lief er überstürzt aus dem Zimmer.
»Da hast du jemanden glücklich gemacht, Mutter«, sagteThomas Wiebe spöttisch. »Sein Glück wird leider nur bis zur nächsten Schenkentür dauern – er trinkt neuerdings. Vermutlich, weil er völlig verschuldet ist.«
»Gut«, sagte Frau Wiebe gedankenlos und betrachtete ihren Sohn so aufmerksam, als suche sie etwas an ihm.
Der lächelte. »Wenn du mich so ansiehst, Mutter«, sagte er, »werde ich nach edler Männergewohnheit an meinen Schlips fassen müssen, ob er auch richtig sitzt. – So, das wäre geschehen. – Und was macht unser Sorgenkind Johannes?«
»Ich hatte heute eine Begegnung, Thomas«, sagte Frau Wiebe. »Ich sah jenes gutaussehende Mädchen wieder, das wir im Sommer in einem Boot auf der Havel sahen. Du erinnerst dich vielleicht?«
»Möglich«, sagte er sehr wachsam. »Ich sage immer, du hast das erstaunlichste Personengedächtnis, Mutter.«
»Du erinnerst dich bestimmt, Thomas. Neben ihr hatte zusammengekauert ein junger Mann gesessen, den ich sofort für Johannes hielt. Du versichertest mir dann, du habest sein Gesicht gesehen und es sei nicht Johannes gewesen.«
»Und er war es also doch!« Der dicke Mann war mit einem Ruck aufgestanden, nun lächelte er nicht mehr.
»Ich sehe, Mutter, sie haben mit dir geredet, das Mädchen oder Johannes, vielleicht beide ... Sie werden dir erzählt haben, dass ich meinen Bruder verleugnet habe, dass ich einen Brief an dich unterschlagen habe. Du selbst wirst dir schon gesagt haben, dass ich dir das wahre Ergebnis meiner Nachforschungen nach Johannes verheimlichte: ich weiß schon seit Wochen, dass Johannes in Berlin lebt, übrigens mit ebendiesem Mädchen zusammen, das von ihren Verwandten wegen Sittenlosigkeit aus dem Hause gejagt wurde.«
»Richtig, Thomas. Ich komme eben von ihr. Sie ist von heute an meine Tochter.«
»Wie du denkst, Mutter. Wie du es für richtig
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