Dies Herz, das dir gehoert
aus der Halle!«
»Es ist gut, Thomas«, sagte sie mit Haltung, »dass du das Mädchen aus der Halle nicht vergisst. Sie ist in dieser Stunde mein größter Trost. Und meine stärkste Hoffnung. – Ich will dich nicht aufhalten, Thomas!«
Er stand einen Augenblick zweifelnd.
Da stand sie auf von ihrem Stuhl, ging, ihn scharf ansehend,an ihm vorüber, beinahe zum Berühren nah, und setzte sich auf seinen Platz am Schreibtisch. Saß da, sah ihn an ...
Und er ging langsam von ihr zurück. Sein fettes Gesicht zitterte, als wollte er weinen. Aber er weinte nicht.
Er ging rückwärts, fasste mit der Hand auf dem Rücken die Türklinke, öffnete die Tür.
Sie sah ihm starr nach, ohne Blinzeln.
Dann, als die Tür ins Schloss fiel, ließ sie den Kopf langsam vornübersinken. Der stolze Nacken beugte sich, das Gesicht glitt auf die Arme, sie weinte, weinte ...
Dann, während sie noch immer weiterweinte, fing die Hand an, blind nach dem Telefonhörer zu tasten. Sie fand ihn, richtete den Kopf auf und drehte die Nummernscheibe.
Mit einer seltsam brüchigen, trostlosen Stimme sagte sie: »Hier ist Frau Wiebe. Wollen Sie mir bitte einmal die Hanne an den Apparat rufen, Kind? – Ja, ich warte – Hanne, bist du das? – Bitte, sage nur ein paar Worte zu mir – ich bin sehr unglücklich. Sprich ... Du hast Johannes schlafend gesehen? Es geht ihm gut? Er hat etwas getrunken, o schön, schön. Ich wusste doch, dich musste ich anrufen, um getröstet zu sein. Dank, Hanne, Dank!« –
Zitronen!
Durch die Halle ging ein Geraune, wurde zum Gerücht, zur Gewissheit schließlich: Pottschmidt hat Zitronen!
»Wer?«
»Pottschmidt doch! Der Dicke vom Kurfürstendamm, der immer so schnauft!«
»Ach nee! Der, wo die kleene Hübsche den Stand hat? Da muss ich doch gleich mal sehen!«
»Jewiß doch! Ick seh ooch!«
Es war, als habe sich alles Sehnen und Verlangen der großen Stadt Berlin auf Zitronen konzentriert. Hundert Hausfrauen entdeckten, dass sie nur ein jämmerliches und beklagenswertes Dasein geführt hatten – ohne Zitronen!
»Mutta, wat stehn die Leute da so an?«
»Ick weeß doch nich, Vata! Mal sehn. – Wat stehn Se denn hier so an?«
»Hier jibt et doch Zitronen, Mensch!«
»Wat, Zitronen? Mutta, broochen wa Zitronen?«
»Ick weeß nich ...«
»Aba, Mutta, wo de Leute so jieperig druff sind! Nimm ’n Dutzend! Zitronen sind ja imma jut!«
»Du hast recht, Vata, ick werd ’n Dutzend nehmen!«
Das kleine Ladenmädchen lief und lief mit hochroten Backen. Der Helfer karrte Kisten über Kisten heran, brach sie in Hast auf, dass die Deckel splitterten. Rasch, mit lächelnder Miene, verkaufte Hanne.
»Tut mir leid. Mehr als fünf Stück kann ich nicht abgeben. Sie sehen doch, wie viel Leute noch warten!«
»Aba, Frollein, wo wir sechse zu Hause sind – und alle scharf uff wat Saures! Jib ihm Saures, Frollein, det muss wahr sind ...!«
»Fünf Stück, mehr nicht!«
Und dabei schlug die Hallenuhr so schnell nacheinander die Viertelstunden. Es war schon acht vorbei, sie schlug viertel – es ging auf halb neun ... Sie hat ihn gestern Abend noch gesehen, sie hat sich nicht bezwingen können, sie ist hingelaufen: er schlief. Es war so gut, ihn schlafen zu sehen,ein ganz anderer Schlaf, sie sah es sofort, als die schwere Ohnmacht bei seiner Einlieferung.
Die Schwester hat ihr erzählt, dass er, ruhig weiterschlafend, ein großes Glas Apfelsinensaft ausgetrunken hat: »Wenn wir nur auch Zitronen hätten! Zitronen wären ihm so gut!«
Sie hat Zitronen: eine Tüte mit fünf Stück – gleiches Recht für alle! – liegt bei ihrer Handtasche, aber nun schlägt die Hallenuhr halb neun!
»Wie viel Kisten noch, Franz?«, flüsterte sie dem Packer zu.
»Och, Frollein Hanne, wenn Se doch weitermachen, wer’n se ziemlich bis Mittag reichen!«
Bis Mittag – o Gott, da schläft er schon wieder, und sie freut sich doch so unsinnig darauf, wieder seine Augen sehen zu können, den Blick ... Und wenn er nur ein Wort sagt, das eine Wort »Hanne«! Bis Mittag ...
»Nur zwei, Frollein!«
»Wie?«
Er hat sie richtig aus dem Geleise geworfen, ihr alter Freund, der pensionierte Schullehrer!
»Sie können aber gerne fünf Stücke haben, wie alle!«
»Wir brauchen aber nur zwei. – Heute lächeln Sie wieder, Fräulein!«
»Ja, heute lächele ich.«
»Es geht ihm also besser?«
»Ja, viel, viel besser!«
»Sehen Sie, ich habe es Ihnen doch gesagt – von Ihnen läuft keiner weg!«
»Ach, lieber Herr, wollen Sie mir
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