Dies Herz, das dir gehoert
befindest – soweit es dich angeht. Meine Schwägerin dürfte sie kaum werden.«
»Richtig, Thomas! Jedenfalls wirst du nicht Gelegenheit haben, sie als Schwägerin zu begrüßen.«
»Wenn ich dir das alles aber verheimlicht habe, wenn ich Dinge beging, die man in keinem andern Fall tun würde, so habe ich es nicht um meinetwillen getan, sondern für dich. Ich habe von je mit Besorgnis gesehen, mit welch blinder Liebe du an diesem weichen, unfähigen Burschen hingst. Er konnte Fehler über Fehler begehen, du dachtest im nächsten Augenblick schon nicht mehr daran. Im Anfang hattest du noch ein wenig Kritik, du konntest einige seiner Schwächen erkennen, wenn ich dir die Augen dafür öffnete. Damals kamen wir überein, ihn in die Staaten zu schicken, damit ein Mann aus ihm würde.«
Der dicke Mann sah schwer atmend auf die Mutter, die ihn unverwandt ansah, mit unbewegtem Gesicht.
»Er kam nicht als Mann zurück«, fuhr Thomas Wiebe fort. »Er hat sich drüben nicht bewährt, er kam als Wrack zurück. Ich sah endlosen Kummer für dich voraus, Sorgen, Erschütterungen – für nichts, denn er war von seiner Schwäche nicht durch Liebe und Verwöhnung zu heilen. Ich habe dir diesen Kummer ersparen wollen. Ich habe den Brief vernichtet, in dem er sich übrigens selbst endgültig von dir lossagte. Ich habe geleugnet, ihn gesehen zu haben. Ich habe dir die Berichte vorenthalten, die ihn in einem zumindest zweifelhaften Milieu schilderten. Ist er doch sogar wegen eines Ladenkassendiebstahls verhaftet gewesen, freilich sofort wieder entlassen worden.«
Noch immer bewegte sich keine Miene in dem Gesicht der Mutter.
»Du hast heute ihn gesehen und dieses Mädchen. Unter diesem Eindruck denkst du vielleicht hart über das, was ich getan habe, Mutter. Trotzdem wirst du mir bei ruhiger Überlegung zugeben, dass ich keinen Schritt getan habe, zu dem mich nicht die Sorge um dich bestimmt hat, Mutter!«
Er schwieg endlich und sah sie unverwandt an.
Sie erwiderte den Blick ohne ein Wort.
Er hielt eine Weile aus, dann senkte er das Auge, nahm einen Bleistift vom Schreibtisch und fing an, ihn zwischen den feuchten Händen zu drehen.
»Du bist immer eine wohlüberlegte, nüchterne Geschäftsfrau gewesen, Mutter«, fing er noch einmal an. »Ich fürchte, du hast heute übereilt gehandelt. Du hast eben Henning versichert, ich würde verreisen. Es scheint, du bist mit einem fertigen Urteil hierhergekommen.«
»Ich bin nicht direkt hierhergekommen, Thomas«, sagte die Mutter.
»Nein?«, fragte er.
»Ich war vorher noch in der Villa. Ich habe mit Bertha gesprochen, mit Bertha, die seit fünfzehn Jahren in meinen Diensten steht. Ich habe mir von Bertha eine Schilderung jenes Wiedersehens zwischen zwei Brüdern geben lassen – du erinnerst dich an jene Nacht, als ich im Hamburger Hafen wartete!«
»Diese verlogene Gans!«, sagte er wütend und verlor zum ersten Mal die Fassung.
»Ich habe mich schon manchmal gefragt«, sagte Frau Wiebe ruhig, »warum so viele Menschen in deiner Nähe schlecht geworden sind, Thomas. Du hattest oft recht anständige Mitarbeiter, wie diesen Henning zum Beispiel. Oder Bertha – sie war, als sie zu uns kam, ein durchaus anständiges, zuverlässiges Mädchen. – Sie hat mir übrigensnicht nur von einem brüderlichen Wiedersehen erzählt – sie packt jetzt drüben ihre Sachen.«
»Sie lügt, Mutter, ich schwöre es dir! Entlassene Angestellte wollen einem immer etwas auswischen – das solltest du doch wissen! Und was jene Nacht angeht, so gebe ich zu, ich habe mich hässlich benommen. Ich habe es hundertmal bereut. Aber ich war angetrunken, ich machte mir Sorgen um dich ...«
Sie machte eine Handbewegung.
»Wir wollen nicht mehr davon reden. Wozu auch? Du weißt Bescheid, wie ich jetzt Bescheid weiß. Ich denke, wir trennen uns in guter Form. Ich bin noch immer die Besitzerin der Firma – das andere werden unsere Anwälte regeln. Du sollst nicht zu kurz kommen, Thomas.«
Er wurde fahl.
»Mutter«, sagte er. »Du bist meine Mutter – du kannst mich nicht so fortschicken!«
»Du hast nie eine Mutter gebraucht, Thomas! Was du immer an mir schätztest, war mein nüchterner, klarer Geschäftsgeist. Und dieser Geist sagt mir: es ist besser, du gehst jetzt ohne Worte ...«
»Sehr richtig, Mutter.« Er lächelte jetzt, ein langes schiefes Lächeln über das ganze Gesicht fort.
»Es bleibt mir nur, dir zu deinen neuen Teilhabern Glück zu wünschen: der verkrachte Auswanderer und das Mädchen
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