Diese alte Sehnsucht Roman
dieser Frage kann keiner von euch gewinnen.«
»Das ist ja nun wirklich kaputt«, sagte Jason. »Weißt du, wie man wird, wenn man mit solchen Gedanken durchs Leben geht?«
»Nein. Wie?«
»Man wird wie du. Mit nur einem funktionierenden Auge und Zweigen und allem möglichen Dreck im Haar.«
Griffin musste unwillkürlich lächeln, auch wenn es wehtat.
»Aber es tut mir leid, dass ich dir eine verpasst hab«, gab Jason nachdenklich zu. »Ich hab darüber nachgedacht und gemerkt, dass ich es wahrscheinlich nicht bloß deshalb getan habe, weil du uns Idioten genannt und Pop in die Hecke geschubst hast. Weißt du, was ich glaube, unterbewusst?« Er zeigte auf seine Stirn, vielleicht um anzudeuten, welch genauer, differenzierter Denkprozess dort stattgefunden hatte. »Unterbewusst war ich noch immer sauer auf dich, weil du meine Schwester so beschissen behandelt hast. Meinst du, das könnte sein?«
Griffin hielt es bewusst für möglich.
An der Anmeldung erfuhr Griffin, seine Frau befinde sich im Behandlungszimmer 2B. Dort bot sich ihm ein unerwartetes Bild: Brian Fynch wurde mit glasigem Blick auf einer Rollbahre hinausgefahren. Auf seiner Stirn schob sich eine Beule von der Größe eines Eis durch die Ringo-Tolle. Griffin war ziemlich sicher, dass er nicht zu denen gehört hatte, die sich beim Einsturz der Rampe verletzt hatten, also … Hatte er sich vielleicht im Krankenhaus verletzt?
Drinnen saß Joy, die aus irgendeinem Grund ein hellblaues Krankenhausnachthemd trug, auf dem Untersuchungstisch und machte einen benommenen Eindruck. »Was ist denn mit –« Er hatte »Ringo« sagen wollen, hielt aber rechtzeitig inne.
Seine Frau seufzte tief. »Ich wollte nicht, dass er es sich ansieht.« Sie hielt ihren Finger hoch, der in einem anatomisch unmöglichen Winkel abstand. »Aber er konnte wohl nicht anders. Erst ist er ganz blass geworden, und dann …« Sie zeigte auf die Wand, genauer gesagt auf eine Delle im Putz, die etwa so groß war wie die Stirn des Dekans. Griffin musste sich abwenden, damit Joy nicht das breite Grinsen sah, das Jason ihm vorhin vorgeworfen hatte. Als er sich wieder umdrehte, sah er jedoch, dass Joy ebenfalls lächelte. Es war ein verhaltenes, schuldbewusstes Lächeln, aber ein Lächeln. »Weißt du, wie es sich anhört, wenn man eine reife Honigmelone auf einen Tisch fallen lässt? So hat es sich angehört.«
»O je«, sagte Griffin und empfand echtes Mitgefühl für den Mann. Der Finger seiner Frau war ein grausiger Anblick, bei dem einem zartbesaiteten Mann schon schwummrig werden konnte, und Griffin war, wie sein Vater, zartbesaitet.
»Wehe, du fällst auch noch um«, sagte Joy und schob die Hand unter das Nachthemd.
Griffin hatte auf der Toilette sein Gesicht gewaschen und sich dazu beglückwünscht, dass die Desorientiertheit und Verwirrung, die er empfunden hatte, nachdem man ihn unter der Hecke hervorgezogen hatte, größtenteils von ihm gewichen waren, doch als er jetzt seine Frau ansah, war er sich nicht mehr so sicher. »Ich glaube, ich wollte fragen, warum du dich ausziehen musst, wenn sie doch bloß deinen Finger schienen und verbinden müssen.« Außerdem: Wie hatte sie es geschafft, sich mit einem derart gebrochenen Finger auszuziehen?
»Wir haben noch etwas anderes gefunden.« Sie hob das Nachthemd und zeigte ihm ihre linke Seite und einen Teil der linken Brust, unter der ein etwa acht Zentimeter langer Riss zu sehen war. Die Wunde hatte nicht stark geblutet, wirkte aber tief. »Das muss genäht werden«, sagte Joy.
Gut, es war ein bizarrer Tag gewesen, dachte Griffin, mit Irrgärten und Menschen fressenden Hecken, einstürzenden Rollstuhlrampen und toten, bauchredenden Eltern, doch dies war gewiss das Seltsamste. Es lohnte sich, darüber nachzudenken. Er hatte den größten Teil seines Erwachsenenlebens mit dieser Frau verbracht. Er hatte das Recht verloren, ihren Körper zu bewundern, auch wenn dieser sogar jetzt – wie Griffin zugeben musste – imstande war, Lust zu wecken. Wie überaus verrückt und absurd, dass er diese Frau jetzt nicht in die Arme nehmen und wenigstens versuchen konnte, sie zu trösten, sie beide zu trösten. Warum sollte er das nicht tun? Was für einen Grund konnte es geben? Nun, ihm fielen schon ein paar ein. Zum einen wartete eine andere Frau geduldig in dem Gasthof auf ihn. Vielleicht liebte er sie nicht, aber er empfand doch – auch dies musste er zugeben – eine große Zuneigung für sie, was bedeutete, dass er seine nur mit
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