Diese alte Sehnsucht Roman
einem Nachthemd bekleidete Frau nicht in eine keineswegs ganz unschuldige Umarmung ziehen sollte. Und dann war da noch Ringo mit seinem verbeulten Kopf, der vermutlich weder mit dem Trost, den Griffin seiner Frau spenden wollte, noch mit der damit einhergehenden Erektion einverstanden gewesen wäre.
»Du kannst mir eigentlich mal verraten, was du von ihm hältst«, sagte Joy, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Etwas an ihrem Ton verriet, dass sie selbst gewisse Zweifel hegte, die sein Ohnmachtsanfall bestätigt hatte.
Griffin zuckte die Schultern. »Er scheint ein freundlicher Mensch zu sein«, sagte er. »Haut vielleicht ein bisschen sehr aufs Blech.«
»Das ist sein Job«, sagte Joy, und Griffin wusste sogleich, dass er das Falsche gesagt hatte. »Er bringt Geld. Da hilft es, ein extrovertierter, fröhlicher Mensch zu sein.«
»Ist ja auch eine schöne Abwechselung«, fügte er hinzu und klang dabei bitterer, als er wollte, mehr wie der »kongenital unglückliche Mensch«, der zu sein sie ihm im vergangenen Sommer vorgeworfen hatte.
»Ja, das ist es wirklich.«
Griffin fühlte, dass ihm der Wind aus den Segeln genommen war. Er spürte das Schwindelgefühl von vorhin zurückkehren und ließ sich auf einen Klappstuhl sinken. »Ich weiß, dass das verrückt ist«, sagte er, »aber ich werde das Gefühl nicht los, dass das alles meine Schuld ist.« Womit er, wie ihm schien, nicht nur sein Verhalten im letzten Sommer auf dem Cape und ihre anschließende Trennung meinte, sondern auch das Fiasko dieses Abends, von dem ihm das meiste – das morsche Geländer, Harves Verletzungen, wie schwer oder leicht sie auch sein mochten, Joys gebrochener Finger, das XL-Ei auf Ringos Stirn und die geschwollenen Popeye-Unterarme seiner Tochter – allerdings kein vernünftiger Mensch anlasten würde. Aber das war noch nicht alles. Was immer jetzt geschehen würde, wäre ebenfalls seine Schuld. Wenn eine lange Reihe von Dominosteinen umfällt, kann man die in der Mitte schwerlich verantwortlich machen.
Irgendwo auf dem Korridor brüllte Harve, der seine Stimme offenbar wiedergefunden hatte: »Nein!«, und einen Augenblick später: »Nein, gottverdammt!«, als hätte er das Geständnis seines Schwiegersohns irgendwie gehört und fühlte sich genötigt, wie der Chor in einer griechischen Tragödie energische Einwände zu erheben. Griffin ertappte sich bei einem schmalen Lächeln, dankbar für den bloßen Anschein, jemand stehe auf seiner Seite.
»Eigentlich ist das gar nicht so verrückt«, sagte Joy.
»Findest du?«, fragte er ehrlich überrascht. Er war, als Übung in Selbstmitleid, bereit gewesen, die volle Verantwortung für die Ereignisse des Abends zu übernehmen, und hatte nicht im Entferntesten damit gerechnet, dass seine Frau ihm recht geben würde.
»Wo ist Dot?«, rief Harve. »Wo ist sie?«
» Unsere Schuld, meine ich«, sagte Joy. »Es ist nicht nur deine.«
»Tja«, sagte er, »es hilft wohl nicht sehr, wenn ich sage, dass es mir leid tut. Aber es tut mir leid. Und …« Er hielt inne und wusste nicht recht, wie er es sagen sollte, doch die Gerechtigkeit erforderte, dass es gesagt wurde.
»Und?«
»Und wenn dieser Brian Fynch dich glücklich macht –«
»Nein!«, brüllte Harve abermals. »Ich will Dot, verdammt!«
Dotverdammt?
Griffin blickte zu Joy und sah, dass auch sie sich das Lachen verkneifen musste. Sein Herz tat einen Hüpfer, als er die alte Schalkhaftigkeit erkannte, die er an ihr so geliebt hatte, als sie jung verheiratet gewesen waren, und die so viele lange Jahre später beinahe ausgelöscht worden war. War er womöglich derjenige, der sie ausgelöscht hatte?
»Hat einer von euch Dot gesehen?«, sagte eine Stimme und ließ sie beide zusammenzucken. Jared streckte seinen geschorenen Kopf durch die Tür.
Sie sagten ihm, sie hätten sie nicht gesehen.
»Er will Dot, verdammt!«, sagte er. Seine Mimikri war wie immer perfekt. »Was läuft denn hier eigentlich?« Womit er vermutlich die Tatsache meinte, dass sie so traut zusammen waren.
»Nichts«, sagten sie im Chor.
Er nickte, registrierte ihr Dementi, fuhr aber fort, sie neugierig zu mustern. Sein Mund stand ein kleines Stück offen. Griffin fiel ein, dass Jared es als Militärpolizist gewohnt war, den Leuten alle möglichen Fragen zu stellen – Wie viel haben Sie heute Abend getrunken? Waren Sie das, der der jungen Dame das blaue Auge verpasst hat? –, und dass dies der Blick war, mit dem er alle bedachte, die er im Verdacht
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