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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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sich artikulieren konnte, und so ging er zu ihr. Als er sich jedoch neben sie setzte, sagte sie nur: »Gehen Sie weg«, ohne auch nur den Kopf zu wenden, um zu sehen, wer er war. Gerade erst angekommen und erschöpft von der Reise, wollte er nicht gleich wieder aufbrechen. Erst wollte er herausfinden, warum sie hier ganz allein saß und den unschuldigen Ozean finster anblickte, wo doch ihr Mann soeben von einem Baum verschluckt worden war. Ihm kam ein Gedanke, der das alles zu erklären schien. »Die können ganz schön hart sein …« Er wollte noch mehr sagen, tat es aber nicht, denn seine Stimme klang, als wäre sein Kopf ein Hallraum.
    Jetzt drehte sie sich zu ihm um und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Anscheinend versuchte sie zu entscheiden, ob seine Sympathie etwas war, das sie wollte, oder ob Missmut ihr als Gesellschaft reichte.
    »So«, sagte sie schließlich und zeigte mit dem Zeigefinger, dessen Nagel zu einer furchterregend scharfen Spitze gefeilt war, auf sein Auge, »fühle ich mich immer unter diesen Leuten. Als würde ich … verprügelt. Zusammengeschlagen. Zu Boden gestreckt. Niedergeknüppelt.«
    Das erschien Griffin ein wenig übertrieben, aber er wusste, was sie meinte, und da er soeben nur unter Mühen ein aus vier Worten bestehendes Satzfragment zustande gebracht hatte, beneidete er sie um die Fähigkeit, so viele beeindruckende, von Gewalt durchdrungene Synonyme zu versammeln. Offenbar hatte niemand sie in letzter Zeit zu Boden gestreckt. Um besser sehen zu können, was sich an der Hecke tat, drehten sie sich um. Die Leute schienen abwechselnd mit den Büschen zu reden. Hätten diese auch noch gebrannt, dann wäre die ganze Szene geradezu biblisch gewesen.
    »Er redet immer nur von dieser Frau«, sagte Dot, als könnte sie Harve in der Hecke sehen. »Am liebsten würde ich schreien: ›Sie ist tot, sie ist tot, sie ist tot . ‹ « Während sie das sagte, nahm die Lautstärke in Griffins Kopf erst ab, dann zu und schließlich wieder ab, als hätte sich irgendwo ein Draht gelöst.
    »Sie waren lange verheiratet«, gab er, wohlmeinend, wie er fand, zu bedenken.
    Sie fuhr zu ihm herum und funkelte ihn an. »Warum hat er dann mich  geheiratet?«, wollte sie wissen.
    Griffin fiel beim besten Willen kein Grund ein, warum Harve oder sonst jemand sie hätte heiraten sollen, und das schien sie seinem Gesicht anzusehen, denn plötzlich stand sie mit geballten Fäusten vor ihm. Lieber Himmel, dachte er, wollte sie ihn etwa ebenfalls niederschlagen? Er kannte sie doch kaum. »Überflüssig«, sagte er, denn das Wort, nach dem er vorhin gesucht hatte, war ihm plötzlich eingefallen.
    »Wissen Sie was? Sie sollten sich einfach …«
    Sie hielt inne, und Griffins Gedanken eilten voraus und apportierten das Wort »verpissen«, doch so etwas sagten Frauen Ende sechzig natürlich nicht.
    »… verpissen«, sagte sie und entfernte sich in Richtung Parkplatz.
    Er sah ihr nach, musterte dann die Stelle, wo sie gesessen hatte, und versuchte herauszufinden, ob die Frau wirklich dagewesen war und dieses Gespräch tatsächlich stattgefunden hatte. Einige Minuten später ließ sich seine Tochter, die erschöpft und niedergeschlagen aussah, neben ihm auf die Bank sinken und legte den Kopf an seine Schulter. Das war schön. »Wo ist Andy?«, fragte er und hoffte, dieser werde, wo immer er war, noch eine Weile bleiben.
    »Er holt den Wagen«, sagte sie – jedenfalls kam es ihm so vor. Sie saß direkt neben ihm, und doch konnte er sie kaum hören. »Können wir gehen?«
    »Wohin?«
    Sie hob den Kopf und sah ihn an. »Ins Krankenhaus.«
    »Sollten wir nicht warten, bis sie Harve aus der Hecke … verzogen …«
    »Gezogen?«
    »… haben?«
    »Dad«, sagte sie, und die Strenge ihrer Mutter schlich sich in ihre Stimme, »das haben wir doch schon besprochen.«
    »Wann?«
    »Vor zehn Minuten. Du solltest bei dem Baum auf mich warten.«
    Tatsächlich?
    »Sieh mich mal an«, sagte sie und legte die Hand unter sein Kinn. Das Gefühl war nicht annähernd so angenehm wie zuvor das Gewicht ihres Kopfes an seiner Schulter. »Deine Pupillen sind erweitert. Bist du auf dem Kopf gelandet?«
    Er konnte sich nicht erinnern, überhaupt gelandet zu sein, aber das Letzte, was er wollte, war, dass sie sich Sorgen um ihn machte. »Mir geht’s gut«, versicherte er ihr. »Wenn die Leute aufhören würden, mich zu schlagen und mir zu sagen, ich solle mich verpissen …« Er ließ den Satz unvollendet, fand aber die Wortzahl

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