Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
Vom Netzwerk:
dennoch beeindruckend.
    Hinter ihnen erwachte eine Motorsäge knatternd zum Leben, und der schiere Lärm schloss einen Schaltkreis in Griffins Gehirn. Die vielfältigen Geräusche der Welt hatten wieder die normale Lautstärke. Auch das frühere Gespräch mit seiner Tochter, in dem er versprochen hatte, beim Baum zu warten, war plötzlich wieder vollständig da. Er erinnerte sich jetzt, dass sie und Andy ihn unter der Hecke hervorgezogen hatten.
    »Ich bin anscheinend allergisch gegen Eiben«, sagte Laura und kratzte ihre Unterarme.
    Er sah genauer hin: Ihre Arme waren grotesk angeschwollen.
    »Wir bringen dich auf jeden Fall ins Krankenhaus«, sagte sie. »Du hast eine Gehirnerschütterung.«
    »Die haben bestimmt auch Benadryl«, sagte er. Sein Kopf war noch immer etwas langsam, nahm aber Fahrt auf.
    »Ja, genau«, sagte sie mit einer ausladenden Geste, die das ganze Geschehen einbezog. »Mit ein bisschen Benadryl wird das alles gleich wieder ganz wunderbar.«
    »Es könnte schlimmer sein«, sagte er.
    Sie wartete geduldig darauf, dass er erklärte, inwiefern. Das dauerte eine Minute. Dann noch eine. Unter den Leuten an der Hecke war auch eine schwangere junge Frau. Er kannte sie, aber nicht ihren Namen. Doch dann fiel er ihm plötzlich ein. »Kelsey könnte mit den anderen hinuntergefallen sein.« Er war stolz, etwas zu sagen, das auch bei näherer Untersuchung stichhaltig zu sein schien. »Und der Schock hätte vielleicht die Wehen einsetzen lassen.«
    »Mensch, daran hatte ich noch gar nicht gedacht«, antwortete sie mit einer Was-du-nicht-sagst-Stimme. »Oder ein unzufriedener Hotelangestellter könnte Arsen in unser Essen gemischt haben. Dann wären wir alle tot anstatt nur grässlich entstellt.«
    »Tut mir leid«, sagte er. »Ich wollte dich doch nur aufmuntern.«
    Sie starrte auf ihre Popeye-Arme, und mit einem Mal bemerkte er, dass sie weinte.
    »Dad«, sagte sie, »morgen ist mein Hochzeitstag, und ich werde hässlich aussehen.«
    Die Motorsäge stotterte und verstummte. Griffin nutzte die eintretende Stille und sagte: »Nein, du wirst wunderschön sein. Alles wird gut.«
    Andy fuhr vor, und sie stiegen ein. Laura nahm vorn Platz, Griffin auf dem Rücksitz. Der Wagen sah, bis hin zur Lackierung und Innenausstattung, genauso aus wie sein Mietwagen, und auf dem Armaturenbrett lag ebenfalls ein Literaturmagazin. Griffin klopfte seine Taschen ab, fand jedoch keinen Schlüssel. Möglicherweise steckte er im Zündschloss. »Ist das eigentlich mein Wagen?«, fragte er, und beide drehten sich zu ihm um und starrten ihn an.
    »Ja, Dad. Das ist dein Wagen. Du hast Andy die Schlüssel gegeben. Du machst mir Angst.«
    Bevor sie losfuhren, bot sich ihnen noch ein letzter bizarrer Anblick: Jared und Jason rüttelten wie Verrückte an den Überresten der verstümmelten Hecke, bis das dunkle Innere schließlich einen alten Mann freigab. Harve purzelte mitsamt dem Rohlstuhl heraus und landete unter allgemeinem Jubel sogar auf den Rädern.
    »Er ist draußen«, sagte Andy und nahm die Hand seiner Braut. »Siehst du? Alles wird gut.«
    Sie lächelte und glaubte ihm, das konnte Griffin sehen. Er hatte ihr soeben dasselbe gesagt, aber natürlich war er nicht mehr derjenige, dessen Trost seine Tochter brauchte. Und das bedeutete, dass es für ihn nichts weiter zu tun gab, als sich zu entspannen, und zwar auf dem Rücksitz, wo die Leute saßen, denen man nicht zuhören musste, selbst wenn es ihr eigener Wagen war.
    Das Krankenhaus war eher eine kleine Klinik, und die in der Vorsaison ruhige Notaufnahme war bereits von der ersten Welle verletzter Hochzeitsgäste überrollt worden. Nicht alle wurden bereits behandelt, als Laura, Andy und Griffin eintrafen, nur Sekunden vor dem Krankenwagen, der Joy und ihren Vater brachte und dem wiederum eine kleine Flotte von Wagen folgte. Harve, den man endlich aus dem Rollstuhl gehievt hatte, wurde auf einer Bahre hereingefahren. Griffin erhaschte einen kurzen Blick auf ihn, als er, umgeben von Rettungssanitätern, vorbeigeschoben wurde. Seine Wangen waren kreuz und quer von Kratzern übersät, und vom Hals bis zur Schulter hatte er eine übel aussehende Abschürfung. Im Übrigen aber schien er in einigermaßen guter Verfassung zu sein. Er hatte eine Baseballkappe getragen, und der Schirm hatte die Augen geschützt. Jane und June, die ihren Vater widerwillig den Sanitätern überlassen hatten, gingen links und rechts der Rollbahre und redeten, während sie am Empfang vorbeieilten, auf ihn

Weitere Kostenlose Bücher