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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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ein. »Siehst du, Daddy? Jetzt sind wir schon im Krankenhaus. Sieh dir all die Schwestern an. Du magst doch Krankenschwestern. Sie werden jeden einzelnen Kratzer versorgen …«
    Harve dagegen konnte seinen Zustand nur mit einem einzigen heiseren Krächzen zusammenfassen: »Schmerz.«
    Griffin war neugierig, wie schlimm seine eigenen Verletzungen waren, und ging zur Toilette, die am Hauptkorridor lag. Was er in dem mannshohen Spiegel sah, erschreckte ihn. Sein zugeschwollenes Auge sah schlimm aus – als wären der Augapfel entfernt und durch einen Tennisball ersetzt und die Lider zugenäht worden. Außerdem hatte er ein Rinnsal geronnenen Blutes unter seinem linken Nasenloch, einen tiefen Kratzer auf der Stirn und Eibenzweige in den Haaren. Du lieber Himmel, sollte er morgen in diesem Zustand seine Tochter zum Altar führen? Wäre eine Sonnenbrille (vorausgesetzt, er konnte eine auftreiben) überhaupt groß genug? Er spürte, dass andere wichtige Fragen in seinem noch immer verwirrten Kopf Gestalt annahmen, doch bevor er sich mit einer davon befassen konnte, schwang die Tür auf, und einer der Zwillinge kam herein. Der mit den Haarstoppeln. Das war also …
    Welcher Zwilling es auch war – er öffnete den Reißverschluss und trat an das Urinal. »Okay«, sagte er und musterte Griffin im Spiegel. Sein Urinstrahl traf das Porzellan mit einer Wucht, die Griffins Neid weckte. »Mach uns den Entscheider: Jared sagt, unsere Familie ist kaputt, ich sage, ist sie nicht.«
    Griffin machte im Geist einen Vermerk, dass es sich (es sei denn, er sprach von sich in der dritten Person) um Jason handeln musste. Jason deutete auf sein grotesk geschwollenes Auge.
    »Du hättest uns nicht Idioten nennen sollen«, sagte er.
    »Hab ich ja nicht.« Hatte nicht seine Mutter dieses Wort benutzt, in der schalldichten Sphäre seines Kopfes?
    »Wir haben es beide gehört. Wir standen genau neben dir.«
    »Hm«, sagte Griffin und zog widerwillig in Betracht, dass seine tote Mutter sich, wenn auch nur ganz kurz, seiner Stimmbänder bedient haben könnte.
    »Außerdem dachten wir, du hättest unseren Vater in die Hecke gestoßen.«
    »Warum hätte ich das tun sollen, Jason?«
    »Du hast uns noch nie leiden können«, sagte er, als gebe er damit eine allseits bekannte Tatsache wieder. »Und du warst der Einzige, der es getan haben konnte . Du hast da gestanden, wo er eben noch gewesen war, mit einem breiten Grinsen. Demselben wie jetzt.«
    Griffin drehte sich um und betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Was er sah, war kein Grinsen, sondern eine Grimasse. Genau genommen eine wohlverdiente Grimasse.
    »Als würde dir das Ganze Spaß machen«, fuhr Jason fort. »Jared hat dasselbe gedacht.«
    »Jason«, sagte Griffin, »dass du und dein Bruder zu demselben Schluss kommen, heißt noch nicht, dass dieser Schluss richtig ist. Ich würde euch raten, ein bisschen mehr genetische Vielfalt zuzulassen.« Griffin rechnete halb damit, dass diese Bemerkung einen weiteren Gewaltausbruch nach sich ziehen würde, doch dem war nicht so.
    »Stimmt«, sagte der andere schmunzelnd, »irgendwie teilen wir uns ein Gehirn. Schon immer. Aber das ist kein Grund, uns Idioten zu nennen.« Er war fertig, machte eine schüttelnde Bewegung, schloß den Reißverschluss und trat an das Waschbecken.
    Griffin trat einen Schritt beiseite, damit Jason sich die Hände waschen konnte. Seine Unterarme waren voller roter Kratzer, aber nicht geschwollen wie Lauras. »Wenn ich euch Idioten genannt habe, entschuldige ich mich dafür.«
    »Was meinst du mit wenn ?«
    »Und es hat mir keinen Spaß gemacht«, sagte Griffin, nur damit das ebenfalls geklärt war.
    »Ich habe nur gesagt, dass es so aussah. War vielleicht ein Missverständnis. Jedenfalls ist niemand tot, und morgen ist ein neuer Tag«, sagte Jason, wusch den alten energisch von seinen Händen und zog ein Papierhandtuch aus dem Spender. »Wenn du denkst, dass diese Hochzeit im Arsch ist, solltest du dich mal im Irak umsehen.«
    »Ja, schon, aber Hochzeiten in Neuengland sollten eigentlich nicht zu dieser Art von Vergleich einladen«, gab Griffin zu bedenken und war stolz, dass er schon wieder imstande war, mehr oder weniger mühelos eine solche Unterscheidung zu machen.
    »Ich meine ja bloß«, sagte Jason schulterzuckend und warf das zusammengeknüllte Papiertuch in den Abfallkorb. Er sah offenbar keinen Anlass auszuführen, was genau er eigentlich meinte.
    »Sag deinem Bruder, alle Familien sind kaputt«, sagte Griffin. »In

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