Diese alte Sehnsucht Roman
hatte, nicht ganz ehrlich zu sein. »Jason«, rief er über die Schulter, und gleich darauf sah man zwei Köpfe in der Tür oder vielmehr denselben Kopf zweimal, das zweite Mal mit Haarstoppeln. »Sie sagen, hier läuft nichts. Sieht das für dich nach nichts aus?«
Jason antwortete nicht sogleich und öffnete ebenfalls ein wenig den Mund. »Nein.«
»Jared.« Joy seufzte. »Jason.«
»Das sieht mir sehr nach etwas aus«, sagte Jason und kniff die Augen zusammen, als könnte er die beiden dann besser sehen.
»Ja, aber was?«
»Weiß nicht«, sagte Jason schließlich. »Ist mir auch egal. Habt ihr Dot gesehen?«
»Haben sie nicht«, antwortete Jared stellvertretend für sie.
»Er will Dot, verdammt.«
»Das wissen sie.«
»Dann lass uns gehen und die alte Fregatte suchen.«
Als die Tür wieder geschlossen war, ließ Joy den Kopf sinken. »Kannst du dir vorstellen, dass du mir in diesem ganzen Jahr immer dann gefehlt hast, wenn ich mit meiner Familie zusammen war?«
»Eigentlich nicht«, gab er zu. Warum sollten ihr seine sarkastischen, nur allzu vorhersehbaren Bemerkungen über ihre Lieben fehlen?
»Brian findet sie alle ganz wunderbar«, sagte sie, und Griffin konnte beim besten Willen nicht sagen, ob das für oder gegen den Mann sprach. »Im letzten Dezember«, sagte sie, »da hast du mir am meisten gefehlt.«
Er gab sich Mühe, aus diesem Satz die unverbrüchliche Liebe seiner Frau herauszuhören, doch es drängte sich der Verdacht auf, dass sie etwas ganz anderes, möglicherweise sogar das Gegenteil, ausdrücken wollte. Sie sprach von Zeiten, da sie ihn am meisten gebraucht hätte. Da er an ihrer Seite hätte sein sollen, es aber nicht gewesen war. »Damals hast du gesagt, es gebe einiges Familienzeug zu klären.«
Sie nickte und sah auf ihren Schoß, als könnte sie durch das Nachthemd ihren gebrochenen Finger sehen. »Es war schrecklich. Dot hat sie gefunden.«
Griffin wartete darauf, dass sie fortfuhr, war sich aber nicht sicher, ob sie das tun würde.
»Sie hat Daddy geholfen, Moms Sachen zu sortieren, und war ziemlich sauer, weil er gar nichts wegwerfen wollte. Jedenfalls stieß sie auf ein verschlossenes Kästchen.«
»Das sie geöffnet hat.«
»Es war ein Bündel Briefe darin.« Sie sah Griffin in die Augen. In ihren eigenen standen Tränen.
»Eine Affäre?«
Sie nickte.
»Und sie hat Harve die Briefe gezeigt.«
»Er hat mich angerufen und wollte wissen, was sie zu bedeuten hätten.« Sie hielt inne und wischte sich über die Augen. »Ich habe ihm gesagt, sie hätten gar nichts zu bedeuten.«
»Gut.«
»Aber er hat es gewusst. Er wollte nicht weinen, aber er hat geheult wie ein Schlosshund. Mein Vater. In meiner ganzen Kindheit und Jugend habe ich ihn nicht ein einziges Mal weinen sehen. Er sagte: ›Jilly-Billy‹, immer wieder. ›Jilly-Billy.‹ Es hat mich so … wütend gemacht. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, er solle damit aufhören, er solle bitte, bitte aufhören, sie bei diesem blöden, albernen Namen zu nennen. Mein Vater hat mich verzweifelt mitten in der Nacht angerufen und wollte sich an meiner Schulter ausweinen, und ich hätte ihn am liebsten angeschrien und ihm gesagt, dass das, was meine Mutter getan hat, seine eigene Schuld war, weil er so … weil er so ein …« Sie hielt inne und konnte nicht weitersprechen. Schließlich sagte sie: »Aber ich war froh. Ich war froh, dass sie jemanden gefunden hatte.«
»Und das wolltest du ihm sagen.«
Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie diese Erinnerung loswerden. »Was für ein Mensch würde –«
»Joy. Hör auf. Das war eine ganz natürliche Reaktion.«
»Du errätst nie, wer die Situation gerettet hat: June. Prinzessin Grace von Marokko. Sie hat ihm gesagt, dass diese Briefe zu einem Briefroman gehörten, den Mom schreiben wollte. Er hat das nicht ganz verstanden, aber es hat ihn beruhigt. Jetzt nennt er es ihren Stiefroman.«
»Ah«, sagte Griffin, dem jetzt aufging, was Harve mit seiner Bemerkung gemeint hatte. »Das hat er mal erwähnt.«
»Du hast immer gesagt, wir wären kaputt. Wir alle.«
»Du nicht«, sagte er, doch eigentlich hörte sie ihm gar nicht zu.
»Und jetzt sieh es dir an: Wir sind hier zusammengekommen und haben die Hochzeit unserer Tochter ruiniert. Den Teil, den wir noch nicht ruiniert hatten.«
»Sie ist nicht ruiniert«, sagte er.
»Wie würdest du es denn nennen? Einen kleinen Blechschaden?«
»Morgen wird alles gut sein.«
Er sagte das mit so viel Überzeugungskraft,
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