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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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gleich, wie die Umstände waren. Und noch peinlicher war ihm seine eigene Untätigkeit. Nachdem er im vergangenen Jahr den Augenblick der Gnade verschwendet hatte, wartete er heute auf den nächsten und fühlte sich betrogen, weil dieser nicht kam. »Ich weiß nicht, ob sie es will. Ich weiß nicht mal, wie ich sie fragen soll«, sagte er. »Sie ist in diesem Jahr ganz gut ohne mich zurechtgekommen.«
    »Darf ich fragen, ob es sich hier um Selbstmitleid handeln könnte?«
    »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit«, antwortete Griffin, etwas überrascht über Sunnys Freimütigkeit – doch wie konnte man gekränkt sein, wenn man sich so gut verstanden fühlte? »Ich neige dazu. Ganz zu schweigen von Nostalgie und anderen unechten Gefühlen.«
    »Ich bin überzeugt, dass alles gut werden wird.«
    Das ließ Griffin schmunzeln. »Wir kennen uns jetzt schon ganz schön lange, Sunny«, sagte er und erhob sich von seinem Barhocker, »aber das ist die erste dumme Bemerkung, die ich aus deinem Mund höre.«
    Als er seine und Marguerites Taschen in den Mietwagen lud und dabei vollkommen durchnässt wurde, stellte Griffin fest, dass die gestrige Unbeweglichkeit, die Sunny korrekt als Selbstmitleid diagnostiziert hatte, in Begleitung einer schrecklichen Erkenntnis zurückgekehrt war. Dass er auf der Hochzeit seiner Tochter so passiv gewesen war, lag zum Teil an seiner tiefen Überzeugung, dass dort etwas würde geschehen müssen – er brauchte lediglich geduldig zu warten und den Augenblick zu erkennen, wenn er kam. Heute jedoch wusste er es besser. Das Einzige, was geschehen musste, war das, was man herbeiführte . Jener vertrauliche, bittersüße Augenblick mit Joy in der Notaufnahme des Krankenhauses hatte mehr verheißen, doch nun erkannte er, dass das alles war, was er bekommen würde, wahrscheinlich weil es alles war, was er verdiente. Die Ereignisse, die in der Hochzeit seiner Tochter und der Auflösung seiner Ehe kulminiert hatten, bewegten sich auf parallelen Gleisen. Beide waren im vergangenen Jahr um diese Zeit in Bewegung gesetzt worden und hatten im Verlauf der langen Monate so viel Schwung gewonnen, dass sie jetzt praktisch unaufhaltsam waren. Nicht einmal das Fiasko der Hochzeitsprobe hatte die Hochzeit beschädigen können – und dafür war er dankbar –, doch anscheinend gehorchte die Auflösung einer Ehe denselben unveränderlichen Naturgesetzen. Es war wie der dritte Akt – die letzten zwanzig Minuten – eines gut konstruierten Films, in dem es kein Wählen und kein Entscheiden mehr gibt, sondern nur noch ein Dahinjagen von Aktionen und Konsequenzen.
    Empfand Joy dasselbe entmutigende Gefühl der Unausweichlichkeit? Hatte sie darum während des Festes auf Abstand gehalten? Er wollte, er könnte sie fragen. Im Wagen sah er das Magazin mit »Der Sommer mit den Brownings« auf dem Armaturenbrett liegen. Er hatte ihr die Erzählung zeigen wollen, weil er stolz darauf war, aber auch, wie er jetzt merkte, weil sie ein Beweis war. Für was? Dass er sich lange bemüht hatte, seine beinahe pathologische Bitterkeit gegenüber seinen verstorbenen Eltern zu verstehen und aufzulösen? Dass er vielleicht einige Fortschritte gemacht hatte? Die Fakten deuteten eher auf das Gegenteil hin. Vor einem Jahr war er mit einem Elternteil im Kofferraum herumgefahren, jetzt waren es beide. Die Browning-Geschichte hatte gar nichts aufgelöst, sondern erklärte allenfalls, warum er nicht der Ehemann und Vater geworden war, der er hatte sein wollen. Möglich auch, dass er Joy die Geschichte aus noch egoistischeren Gründen hatte zeigen wollen. Tommy, den die frühere Fassung verwirrt hatte, war von der neuen Version überrascht und beeindruckt gewesen. »Herrgott, Griff«, hatte er gesagt, »da ist richtig … da ist richtig viel Wahrheit  drin.« Vielleicht hatte Griffin von Joy nur noch mehr Lob hören wollen.
    Er musterte das Cover, auf dem sein Name und die von acht bis zehn anderen unbekannten Autoren standen, und spürte, wie klein seine Leistung war. Natürlich konnte er die Erzählung als Ausrede benutzen, um noch einmal zum Hotel zu fahren. Und dort konnte er, sofern er den Mut aufbrachte, Joy fragen, ob dies wirklich das Ende war und ob es das war, was sie wirklich wollte – doch er kannte die Antwort ja schon, oder nicht? Im Krankenhaus hatte sie ihm gesagt, Brian Fynch mache sie nicht unglücklich, und angesichts der letzten Jahre ihrer Ehe war das für sie wahrscheinlich ein Schritt in die richtige Richtung.

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