Diese alte Sehnsucht Roman
waren – wie ihre Mutter bezeugen konnte – ungebärdig. Würde sich im Leben seiner Tochter etwas Gutes, Unerwartetes ereignen, etwas, das ihre Seele vor Stolz und Freude erbeben lassen würde, und würde sie dann feststellen, dass der Mann, dem sie es zuerst und vor allen anderen mitteilen wollte, nicht der war, den sie heute geheiratet hatte, sondern vielmehr einer, der sie schon als Junge geliebt und ihr einmal, mitten in der Nacht, genug vertraut hatte, um ihr von der Schande seiner Familie zu erzählen? Würde sie begreifen, dass es ein solches Vertrauen, eine solche intime Vertrautheit nicht ohne Konsequenzen und Verpflichtungen gab, ja gar nicht geben konnte? Würde sie dann verstehen, was sie jetzt noch nicht einmal ahnte, nämlich dass es gewiss freundlich und großzügig gewesen war, sich im Augenblick ihres größten Glücks an Sunny Kim zu erinnern, aber auch ein unbewusstes Eingeständnis von etwas, das ihr heute noch verborgen war?
Und was war mit Andy? Würde er eines Tages seine Frau überraschen, wenn ihr gutes Herz Kummer hatte, und einfach wissen , wie Griffin es gewusst hatte – auch wenn er versucht hatte, es nicht zu wissen –, dass es einen anderen gab? Würde Andy spüren, dass Eifersucht tief verletzen und vielleicht sogar zerstören konnte, und würde er sein Wissen begraben, wie Griffin es getan hatte, noch bevor er genau wusste, um was es ging? Und würde er später, wenn Laura alles getan hatte, um zu zähmen, was von Natur aus ungebärdig war, an einer Bitternis tragen, weil die uneingestandene, unbehandelte Wunde in seinem eigenen Herzen nicht verheilt war?
Griffin wollte nicht glauben, dass irgendetwas davon geschehen würde. Er weigerte sich, es zu glauben.
»Danke«, sagte Sunny und trank seinen Scotch aus.
»Wofür?«
»Für ein ehrliches Gespräch. Ein seltenes Vergnügen.«
»Dann danke ich für den alten Scotch. Ebenfalls ein seltenes Vergnügen.«
»Es geht mich nichts an«, sagte Sunny, »aber wollen Sie und Ihre Frau es noch einmal versuchen?«
An Sunnys besorgtem, beinahe ängstlichem Gesicht konnte Griffin ablesen, dass er nicht aus Neugier oder Zuneigung fragte, obwohl beides sicher vorhanden war. Bis zu diesem Augenblick war Griffin nicht bewusst gewesen, dass seine Tochter nicht die einzige war, die in Sunnys Leben eine wichtige Rolle spielte – er und Joy gehörten ebenfalls dazu. Sicher, Sunny war nach Stanford und dann nach Georgetown gegangen, doch zuvor hatte er das Einwandererviertel, in dem seine Eltern wohnten, hinter sich gelassen, hatte den Shoreham Drive überquert und war in das Viertel gekommen, wo die Griffins und Kelseys Eltern lebten. Griffin sah ihn mit dreizehn, wie er, herausgeputzt für Lauras Party, am Shoreham Drive auf das grüne Licht der Fußgängerampel wartete. Und in ihrem »schönen Haus« hatte er sich in Laura verliebt (wenn er sie nicht schon längst geliebt hatte), aber auch in ihre Eltern, die ihrem Kind nicht unmäßig viele Verpflichtungen aufbürdeten, die lachten und einander auf eine Art ansahen, wie andere Eltern es nicht taten. War es nicht Kelsey gewesen, die damals gesagt hatte, es sei völlig klar, dass Lauras Eltern noch immer miteinander schliefen? Sunny hatte das sicher ebenfalls gespürt. Na klar, er musste es mit seinen hungrigen Jungenaugen gesehen haben. Joy war nie schöner gewesen als damals, mit Ende dreißig, und wenn Sunny Lauras Eltern mit seiner kleinen steifen Mutter und seinem chronisch kranken Vater verglich, verspürte er vielleicht ebenso viel Neid wie Scham. Er hatte sich in die Griffins verliebt, wie Griffin selbst sich in die Brownings verliebt hatte: gründlich und unkritisch. Hatte die Nation selbst an dieser Verführung mitgewirkt? Amerika, das – wie Cape Cod, dieser noch erlesenere Ort – unzählige implizite Versprechungen und Geschenke bereithielt, unter anderem die Erlaubnis zu träumen? Wer hatte mehr Recht als Sunny, die Frage zu stellen, warum Amerika seine gerade erst eingewanderten Träumer, seien sie legal oder illegal, für die Probleme des Landes verantwortlich machte? Inzwischen, dachte Griffin, war Sunny gewiss widerwillig zu der Erkenntnis gekommen, dass solche Träume paradox und, wie die Liebe, ungreifbar und real zugleich waren.
»Das weiß ich nicht«, sagte Griffin schließlich. Er war peinlich berührt von Sunnys persönlicher Anteilnahme und den größeren Fragen, die sich angesichts einer jeden Ehe – immerhin eine öffentliche Institution – stellten, ganz
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