Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
Vom Netzwerk:
von Kelsey und ihrem Mann (»Aunt Rita? Was machst du denn hier?«) und ließ sich von deren erstem Jahr ehelichen Glücks erzählen.
    Ihre Fahnenflucht bewirkte, dass Griffin – der sich das natürlich selbst zuzuschreiben hatte – zu oft allein am Haupttisch saß. Laura nötigte (wie ihm nicht entging) ihre Brautjungfern, mit ihm zu tanzen, und aus einem ähnlichen Pflichtgefühl forderte er Andys Mutter zum Tanz auf, die jedoch sagte, nein, nein, sie könne wirklich nicht – als hätte sie den einzigen Gutschein, den man ihr an der Tür ausgehändigt hatte, beim Tanz mit ihrem Sohn verbraucht. Joys Schwestern hatten ihre Ehemänner und konnten Griffin ohnehin nicht leiden, und so hielt er sich von ihnen fern. Joy ging von Tisch zu Tisch und überzeugte sich davon, dass alle hatten, was sie brauchten, und sich gut unterhielten – eine Pflicht, um die er sie beneidete, bis ihm bewusst wurde, dass es auch die seine war. Also tat er dasselbe, begann am anderen Ende des Saals und arbeitete sich so langsam wie möglich vor, damit er nicht so bald gezwungen sein würde, zu seinem beinahe verlassenen Tisch zurückzukehren.
    Das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte, wurde im Lauf des Abends stärker, doch er hatte keine Ahnung, was es sein könnte. Alle schienen sich nach Herzenslust zu amüsieren, vor allem die jungen Leute, Lauras und Andys Kommilitonen, und so sollte es ja auch sein. Der Einzige, der noch weniger als Griffin mit dem Geschehen synchronisiert war, schien der arme Harve zu sein. Nachdem er erfolgreich darauf gedrungen hatte, bei der Hochzeit dabei zu sein, verschlief er das Gelöbnis und den größten Teil der Feier. Nur einmal kam er mühsam auf die Beine und wiegte sich mit der schönsten Brautjungfer ein wenig in den Hüften, was ihm donnernden Applaus von allen außer Dot eintrug, die ihn mit Gewalt wieder in den Rollstuhl drückte. Der kleine Junge, der am Abend zuvor Andy (und seine eigene Mutter) in den Unterleib geboxt hatte – Griffin hatte noch immer keine Ahnung, wer der kleine Scheißer eigentlich war –, erkannte Jason und versuchte abermals, seinen Standardschlag anzubringen, doch der Militärpolizist sah es kommen, legte die Hand auf die Stirn des Kleinen und ließ ihn die Fäuste schwingen, und auch dies schienen alle, die es sahen, komisch zu finden.
    Nach und nach wurde Griffin bewusst, dass er auf einen weiteren Augenblick der Gnade wartete, einen Augenblick wie den bei Kelseys Hochzeit im vergangenen Jahr, als seine Tochter Sunny Kim auf die Tanzfläche gezogen hatte. Am Vorabend, als er mit Joy im Behandlungsraum der Notaufnahme gesessen hatte, war es ihm so vorgekommen, als sei ein solcher Augenblick zum Greifen nah, doch die Zwillinge hatten sie unterbrochen, und es war nicht dazu gekommen. Es hatte ihm nicht die Hoffnung geraubt. Wenn er nicht versuchte, den Augenblick zu erzwingen, sagte er sich, würde dieser von allein kommen, wahrscheinlich irgendwann während der Hochzeitsfeier. Vielleicht würde dieser alte Bon-Jovi-Song ihn herbeiführen. Wie hieß er noch? »Livin’ on a Prayer«? Er fragte den DJ , der ihm sagte, das Stück stehe auf der Playlist, doch es war nicht gekommen und kam auch jetzt nicht, und als einige Gäste mit kleinen Kindern diese einsammelten und sich von Braut und Bräutigam verabschiedeten, war ihm klar, dass es auch nicht mehr kommen würde.
    Er spürte, dass seine Gefühle sich selbstständig machten und der Oberfläche gefährlich nahe kamen. Er flüsterte Marguerite zu, er müsse mal zur Toilette, und ging hinaus. In der kleinen, dämmrigen Bar, dem einzigen Ort, wo die Getränke nicht umsonst waren, fand er Sunny Kim.
    »Mögen Sie Single Malt Whisky?«, fragte er, als Griffin sich auf den Hocker neben ihm setzte.
    Selbst in dem trüben Licht sah Griffin, dass dem jungen Mann die Tränen in den Augen standen. »Allerdings«, sagte er, auch wenn Hochprozentiges vermutlich das Letzte war, was er jetzt brauchte.
    Sunny bestellte ihm einen wirklich teuren. »Ich liebe guten Scotch«, sagte er, »aber ich kann ihn nicht trinken, ohne an meinen Vater zu denken.« War das, dachte Griffin, vielleicht die Erklärung für die feuchten Augen? »Was hätte er zu einer solchen Extravaganz gesagt? Er hielt nichts von Ausschweifungen.«
    »Bist du da sicher?«, sagte Griffin. »Sich etwas nicht leisten zu können, ist etwas anderes, als es zu missbilligen.«
    »Stimmt«, gab Sunny zu. »Und es stimmt auch, dass ich ihn nie wirklich gekannt habe.«
    »Er

Weitere Kostenlose Bücher