Diese alte Sehnsucht Roman
hatten als seine. Nur die mutigsten, ehrgeizigsten Anglisten schrieben sich bei ihr ein, was sie als Beleg für ihre wissenschaftliche Strenge wertete, während er behauptete, es sei ein weiterer Beweis dafür, dass sie ein echter Drache war.
Bei den größeren, heterogeneren Seminaren, die Griffins Vater veranstaltete, war diese löbliche Aufmerksamkeit für Details impraktikabel – oder jedenfalls behauptete er das. Unter die abgegebenen Arbeiten schrieb er die Note und eine allgemeine Bemerkung wie »Gut« oder »Könnte besser sein«, es sei denn, es handelte sich um eine hübsche junge Frau; in diesem Fall schlug er vor, sie solle ihn in seinem Büro aufsuchen. Zwischen ihm und seinen Studenten, von denen viele Sportler waren, herrschte ein stillschweigendes Einverständnis: Ihre Noten waren eine Stufe besser, als sie verdient hatten, und da für ließen sie ihn in Ruhe. Man mochte seine liebenswerte, leicht zerstreute Art, ebenso wie seine Vorliebe für schlechte Witze und die Tatsache, dass er sich über das Leben auf dem Campus auf dem Laufenden hielt, etwas, das die anderen Professoren für unter ihrer Würde hielten. Und im Großen und Ganzen mochte auch er sie, obwohl er am Semesterende nicht imstande gewesen wäre, sie bei einer polizeilichen Gegenüberstellung zu identifizieren, wohin die meisten von ihnen, laut Griffins Mutter, eigentlich auch gehörten. Sie dagegen kannte ihre Studenten gut genug, um sie als Individuen abzulehnen – wegen ihrer Denkfaulheit, wegen der Nachlässigkeit, mit der sie sich kleideten, wegen ihrer Neigung zu Konventionen und ihrer religiösen Erziehung. Umgekehrt mochten die meisten auch sie nicht, obwohl einige ihr nach ihrem Universitätsabschluss schrieben, um sich für die Disziplin zu bedanken, die sie ihnen eingeimpft hatte. Diese Schreiben zeigte sie stets seinem Vater und versäumte dabei nicht zu bemerken, wie wenige Fehler sie im Vergleich zu den idiotischen Briefen enthielten, die seine ehemaligen Sportskanonen ihm manchmal schickten (und die oft mit den Worten »Hi, Prof Griff« begannen).
Griffin trat gerade in sein zweites Jahrzehnt als Dozent ein und befürchtete, dass er die schlimmsten Eigenschaften seiner Eltern geerbt hatte. Wie sein Vater war er beliebt, aber das waren Seminare über das Drehbuchschreiben immer. Seinen Studenten gefiel, dass er Berufserfahrung besaß, dass verschiedene Drehbücher, die er und Tommy verfasst hatten, verfilmt worden waren und dass er, wenn nötig, zynische Hollywood-Geschichten erzählen konnte. Er mochte sie persönlich weit mehr, als er erwartet hatte. Mit Ausnahme der Stipendiaten stammten sie aus wohlhabenden, privilegierten Familien, doch das bedeutete, wie er feststellte, lediglich, dass es in ihren Elternhäusern viele Bücher und viel Musik gab, dass sie ausgiebig Klavierunterricht gehabt und zahlreiche Reisen zur Entwicklung ihrer Persönlichkeit unternommen hatten. Politisch waren die meisten, wie ihre Eltern, liberal. Das alles war gut, doch sein Temperament war dem seiner Mutter ähnlicher, als er sich eingestehen wollte. Auch er versah die Arbeiten seiner Studenten mit weit mehr Ratschlägen und Kommentaren, als ihnen lieb war, und die überwältigende Mehrheit ignorierte diese vollkommen, was sich daran ablesen ließ, dass sie weiterhin genau dieselben Fehler machten. In letzter Zeit fragte er sich, ob die Trägheit seines Vaters nicht letztlich hilfreicher gewesen war. Wenn ein Student las, das Resultat seiner Bemühungen »könnte besser sein«, brachte ihn das vielleicht dazu, darüber nachzudenken, wie er das bewerkstelligen könnte, während Griffins detaillierte Analyse der diversen Schwächen möglicherweise bloß bewirkte, dass er die mit unzähligen Randbemerkungen versehene Arbeit einfach dem Wind überließ. Der Drehbuchentwurf mit den fehlenden Seiten (schon im voraus vom Winde verweht) funktionierte ohne sie, dessen war er gewiss, ebenso gut oder schlecht wie zuvor. Griffin würde allerdings eine gute halbe Stunde brauchen, um zu erklären, warum, und wäre dann vermutlich ohnehin der Einzige, der von dieser Mühe profitierte.
Über das alles nachzudenken war, besonders an einem so herrlichen Nachmittag, derart entmutigend, dass er die Arbeiten wieder in die Aktentasche stopfte. Als er mit der Wahlwiederholung Sids Nummer wählte, ging wieder der Anrufbeantworter dran. Wie enttäuscht würde Joy sein, fragte er sich, wenn nicht mehr genug Zeit blieb, nach Truro zu fahren, falls er nach L.A.
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