Diese alte Sehnsucht Roman
wissen, als handelte es sich hier um eines jener Rätsel der Kindheit, die das Erwachsenwerden nicht gelöst hatte.
»Ich glaube, er kannte einfach keine anderen Kinder«, sagte Griffin. »Wahrscheinlich hatte er vor dir genauso viel Angst wie du vor ihm.« Seltsamerweise war das genau dasselbe, was seine eigenen Eltern ihm über echte Hunde gesagt hatten.
Laura war noch immer dabei, diese Erfahrung zu durchleben, und interessierte sich nicht für Erklärungen. »Und als wir dann hierher gezogen sind – hab ich dir das je erzählt? –, hat er eines Abends, als du und Mom auf irgendeiner Party wart, angerufen und einfach nur in den Hörer gebellt. Da war ich ungefähr fünfzehn, aber es hat mir trotzdem eine Heidenangst eingejagt.«
Sie kicherte, was Griffin verwirrte, bis er merkte, dass Andy zu ihr auf den Balkon gekommen war und »wuff-wuff« machte. »Klingt so, als wäre das jetzt ein guter Moment, um aufzulegen«, sagte er.
»Komm doch heute Abend mit zum Essen. Wir gehen in eine Martini-und-Tapas-Bar in Hyannis.«
»Um wie viel Uhr?«
»Neun.«
»Um die Zeit liege ich schon im Bett. Und schlafe wahrscheinlich.«
Er hatte das als Witz gemeint und halb gehofft, sie würde sagen: »Ach, Daddy «, und ihn überreden mitzukommen, aber offenbar nahm sie ihn ernst und kam vielleicht sogar zu dem Schluss, um neun Uhr abends zu schlafen, sei für einen Mann seines Alters angemessen. »Na gut«, sagte sie, »dann sehen wir uns morgen früh. Du und Mom, ihr kommt doch gemeinsam zur Trauung, oder?« Er war einigermaßen sicher, dass jetzt sie es war, die einen Witz machte.
»Es sei denn, sie lernt unterwegs einen anderen kennen.«
»Bis dann , Daddy.«
Als er auflegte, fiel ihm wieder ein, worum es bei dieser Truro-Sache gegangen war. Als Wiedergutmachung für die verpatzte Terminplanung zum Semesterende hatte Joy vorgeschlagen, sie könnten doch nach der Hochzeit aufs Cape fahren, nachsehen, ob es die Pension, wo sie ihre Flitterwochen verbracht hatten, noch gab, und vielleicht ein, zwei Tage dort verbringen. Das wäre doch irgendwie romantisch, hatte sie gesagt und ihre Finger mit seinen verschränkt. Es hatte Zeiten gegeben, da hätte diese bestimmte Geste sofortige erotische Entwicklungen verheißen, doch neuerdings bedeutete sie nur, dass Joy dieser Idee vielleicht in etwa einer Woche aufgeschlossen gegenüberstehen würde – unter günstigen Umständen und sofern er alles richtig machte, also nichts tat, was diese Entwicklung behindern könnte. Und das hatte ihn so missmutig gemacht, dass er ohne sie nach Boston gefahren war.
Der Nachmittag war angenehm warm, und da er in der Nacht zuvor schlecht geschlafen hatte, nickte Griffin, das erste Portfolio ungelesen auf dem Schoß, bald ein. Eine Stunde später weckte ihn eine leichte Brise, die die Manuskriptseiten über die ganze Veranda verteilt hatte. Mehrere Seiten waren gegen das Geländer geweht worden, eine war zwischen den Sprossen hindurchgerutscht und hatte sich in einem Rosenstock verfangen. Nachdem er sie aufgesammelt und in die richtige Reihenfolge gebracht hatte, fehlten noch immer drei Seiten. Eine fand er einen Block entfernt: Sie klebte an einem Telefonmast wie ein Zettel, mit dem nach einem entlaufenen Haustier gesucht wurde. Die anderen beiden waren vermutlich unterwegs nach Nantucket. Herrgott, dachte er, die Ähnlichkeiten mit seinem Vater beschränkten sich nicht bloß auf Äußerliches. Dessen Angewohnheit, die Arbeiten seiner Studenten – manchmal ganze Stapel von Forschungsergebnissen – zu verlieren, war berühmt-berüchtigt gewesen. »Wenn du sie nicht lesen willst, solltest du gar nicht erst Arbeiten verteilen«, hatte Griffins Mutter immer gesagt, wenn wieder einmal ein Stoß Papier spurlos verschwunden war und sein Vater die Studenten bitten musste, alles noch einmal zu schreiben. »Aber ich hatte ja das ganze Wochenende dafür reserviert«, sagte er dann mit – dessen war sie sicher – gespielter Enttäuschung.
Selbstverständlich verabscheute Griffins Mutter es ebenfalls, Arbeiten zu benoten. Dennoch korrigierte sie Fehler akribisch und schrieb Randbemerkungen mit stilistischen wie inhaltlichen Verbesserungsvorschlägen und bohrenden, oftmals beleidigenden Fragen ( Wie lange haben Sie daran gearbeitet? ), die sie dann gleich selbst beantwortete ( Angesichts des Ergebnisses hoffentlich nicht allzu lange ). Dieser Arbeitsaufwand war jedoch nur möglich, konterte sein Vater, weil ihre Seminare dreimal weniger Teilnehmer
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