Diese alte Sehnsucht Roman
was los war. Er war in Versuchung, ihn anzurufen, nur dass Tommy jedes Mal, wenn er das tat, als Erstes wissen wollte, ob er endlich aufgehört habe, »bürgerlich« zu sein. In Tommys Augen war ein Drehbuchautor so etwas wie ein Dieb, und er hatte Griffin gewarnt, Connecticut würde für ihn dasselbe sein wie Bolivien für Butch Cassidy. Als Griffin erwidert hatte, er könne seine Drehbücher ebenso gut in Neuengland schreiben und sie als E-Mail-Anhang verschicken, hatte Tommy nur gelacht und gesagt: »Ja, denk du nur, Butch. Das kannst du am besten.«
Bevor er eine Entscheidung treffen konnte, meldete ihm ein Summton einen weiteren Anruf. Auf dem Display stand warnend MOM . Was in aller Welt wollte sie jetzt schon wieder, dachte er und ließ die Mailbox den Anruf annehmen. Die Veranda war überdacht, er beugte sich über das Geländer und suchte den Himmel ab.
Laura meldete sich nach dem ersten Läuten. Obwohl es inzwischen beinahe ein Uhr war, klang sie verschlafen. »Moment«, sagte sie, und dann hörte er, wie sie zu Andy, ihrem Freund, sagte, er solle weiterschlafen. »So«, sagte sie dann zu Griffin. »Ich bin jetzt auf dem Balkon. Wir sind bis zum Sonnenaufgang aufgeblieben. Möglicherweise war Alkohol im Spiel.«
»Du solltest dich lieber ein bisschen zurückhalten«, sagte er und bereute es sogleich. Warum in aller Welt sollte sie sich zurückhalten? Sie und ihre Freundinnen und Freunde waren in den Zwanzigern, einem Alter, in dem man hart arbeiten und sich heftig vergnügen konnte, ohne dass einen die Anstrengung gleich einholte. Es würde Jahre dauern, mindestens ein, zwei Jahrzehnte, bevor einer von ihnen aus vollkommen anderen Gründen die aufgehende Sonne begrüßte. »Wie geht’s Andy?«
»Gut. Ausgezeichnet.« Als wären die Worte noch nicht erfunden, die wirklich ausdrücken konnten, wie ausgezeichnet es ihm ging. Doch dann wurde ihr Ton unvermittelt ernster. »Was ist mit dir und Mom los?«
Laura hatte den größten Teil ihrer Jugend in der Angst verbracht, ihre Eltern könnten sich trennen. Die Eltern ihrer meisten Freundinnen hatten sich scheiden lassen und ihre Kinder traumatisiert – wer garantierte ihr also, dass es ihr nicht genauso ergehen würde? Griffin und Joy stritten sich selten, doch wenn es geschah, mussten sie danach als Erstes ihre Tochter beruhigen. Es reichte nicht, ihr zu sagen, dass sie beide sie mehr als alles andere liebten. Jetzt, mit sechsundzwanzig, hatte sie diese alte Angst noch immer nicht überwunden. Erst im vergangenen Jahr hatte sie Joy gestanden, sie habe gelegentlich den alten Alptraum, in dem einer ihrer Eltern sie anrief, um ihr zu sagen, sie würden sich trennen.
»Gar nichts ist los, Schatz. Deine Mutter hatte noch ein paar Besprechungen.«
Sie schwieg für einen Augenblick, und er machte sich auf bohrende Nachfragen gefasst, doch dann sagte sie: »Habt ihr noch immer vor, nach der Hochzeit nach Truro zu fahren?«
»Warum sollte ich nach Truro fahren?«
»Nicht du allein«, sagte sie. »Ihr beide.«
»Welche beiden?« Seine Mutter hatte einen Vorposten in seinem Kopf errichtet – vielleicht war das der Grund, warum sein erster Gedanke war, dass Laura ihn und sie meinte.
»Du und Mom natürlich«, sagte sie. »Oder gibt es eine andere?«
Griffin versicherte ihr, die gebe es nicht.
»Jedenfalls hat sie gesagt, ihr hättet darüber gesprochen.«
Griffin scrollte in Gedanken durch die Gespräche, die er in den vergangenen Wochen mit Joy geführt hatte und bei denen sie, um ehrlich zu sein, oft aneinender vorbeigeredet hatten. Aber »Truro« beschwor tatsächlich eine ganz schwache Erinnerung herauf, allerdings viel zu flink und schlüpfrig, um sie zu fassen zu bekommen. »Schon möglich«, gab er zu. »Aber es könnte sein, dass ich gleich nach der Hochzeit nach L.A. fliegen muss. Sid hat vielleicht etwas für mich.«
»Sid«, wiederholte sie. »Dieser Mann macht mir bis heute Angst. Weißt du noch, wie er so getan hat, als wäre er ein Hund, und mich angebellt hat?«
Griffin schmunzelte. Daran hatte er schon seit Jahren nicht mehr gedacht: Sid auf allen vieren, auf Augenhöhe mit der verängstigten Laura, bellend und knurrend. Er hatte nicht mal aufgehört, als Griffin sie auf den Arm genommen und sich von ihm abgewendet hatte, als wäre Sid ein echter Hund. Und Sid hatte immer weiter gebellt und sich viel zu sehr mit seiner Rolle identifiziert, um aufzustehen.
»Warum tut ein erwachsener Mann einem kleinen Kind so etwas an?«, wollte sie
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