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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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fliegen musste? Vermutlich nicht sehr. Es war schön, dass sie diesen Plan romantisch fand, aber wenn sie es recht bedachte, würde sie erkennen, dass Truro ihren aktuellen Konflikt wahrscheinlich nicht schrumpfen lassen, sondern ausweiten würde. Die erste echte Meinungsverschiedenheit in ihrer Beziehung hatte es über die Frage gegeben, wo sie ihre Flitterwochen verbringen sollten. Sie hatte an die Küste von Maine fahren wollen, wo sie als Mädchen mit ihrer Familie die Ferien verbracht hatte, jeden Sommer in demselben gemieteten, weitläufigen, etwas heruntergekommenen alten Haus, nicht weit von dort, wo ihre Mutter aufgewachsen war. Es war zugig, es knarzte, und die Böden waren so schief, dass man eine vom Küchentisch gefallene Pachisikugel bis ins Wohnzimmer verfolgen musste. Aber sie kannten das Haus schon lange, und es gab jede Menge Zimmer für die Eltern, die fünf Kinder und den Wochenendbesuch. Joy hatte viele schöne Erinnerungen an gemeinsame Essen, abendliche Ausflüge in einen nahe gelegenen Vergnügungspark und tagelange Monopoly - und Cluedo -Turniere, wenn es geregnet hatte. Selbst nach der Versetzung ihres Vaters und dem Umzug der Familie in den Westen kehrten sie in jedem Juli nach Maine zurück, auch wenn die Küste felsig und das Wasser zu kalt zum Schwimmen war. Joy hatte sogar vorgeschlagen, für die Flitterwochen ebendieses Haus zu mieten. Was natürlich die naheliegende Frage Nummer eins aufwarf: Warum hatte Griffin sie überredet, stattdessen nach Cape Cod zu fahren? Wenn sich doch die Möglichkeit bot, auf den Spuren einer glücklichen Ehe zu wandeln – und daran, dass Joys Eltern glücklich verheiratet waren, konnte kein Zweifel bestehen –, warum hatte er sich dann für die unglückliche Version entschieden, die seine Eltern vorgelebt hatten?
    Dennoch waren sie in Truro glücklich gewesen, nicht? Es war ja nicht so, dass er Joy bedrängt hätte. Sie hatten es diskutiert und waren zu einer Einigung gekommen, und es war schön gewesen. Sie hatten die ganze Zeit gevögelt und sich begeistert ihr künftiges Leben ausgemalt. Bei einem Spaziergang Hand in Hand durch die Dünen hatte Joy zum ersten Mal von dem Haus erzählt, das sie sich für sie erträumte. Es schien eine Mischung aus dem Haus in Syracuse, in dem sie aufgewachsen war, und dem in Maine zu sein: alt, unpraktisch, elegant, voller Charakter – ein Haus, das eine reiche Geschichte vorzuweisen hatte und vielleicht sogar das eine oder andere freundliche Gespenst beherbergte. Dass Joy an Gespenster glaubte, war eine der liebenswerten Eigenarten, die er in den Flitterwochen kennenlernte. Sie war sicher, dass es in dem Haus in Syracuse gespukt hatte. Die ganze Familie – sogar Jared und Jason, ihre beiden viel jüngeren Brüder – hatte die Anwesenheit eines Geistes gespürt; es handelte sich, darin waren sich alle einig, um eine Frau. Nur ihr Vater hatte nichts gemerkt; aber er zählte nicht, erklärte sie, weil er ohnehin nie etwas merkte.
    Die begeisterte Klarheit, mit der sie nicht nur ihr Traumhaus, sondern auch ihre gemeinsame Zukunft im Osten vor sich sah, war ansteckend. Griffin war mit allem einverstanden – warum auch nicht? Es würde schön sein, L.A. endlich zu verlassen und ein gesünderes, ruhigeres Leben fernab der verstopften Schnellstraßen und des Hintergrundrauschens zu leben, das dort als Kultur durchging. Er glaube, sagte er, dass er nicht immer und ewig, ja vielleicht nicht einmal mehr lange, Drehbücher schreiben werde. Die Arbeit gefalle ihm, aber was er und Tommy da schrieben, sei wohl kaum Literatur. Er denke seit einiger Zeit daran, sich an etwas Ernsthafterem zu versuchen, vielleicht an einem Roman oder einer Sammlung von Kurzgeschichten. Das sei allerdings leider nicht annähernd so lukrativ, und deswegen würden sie anfangen müssen zu sparen; und wenn sie dann den Bruch vollzogen hätten, werde er wahrscheinlich unterrichten müssen. Erst als er all das schon eine Weile ausgesponnen hatte, merkte er, dass er log. Er spielte keineswegs schon »seit einiger Zeit« mit dem Gedanken, Erzählungen oder einen Roman zu schreiben – eigentlich war dieser ihm erst gekommen, als er die Worte aussprach. Und noch sonderbarer: Was er da ausmalte, war ein Leben, das sich nicht so besonders von dem seiner Eltern unterschied. Was war nur über ihn gekommen? Warum sollte er das Drehbuchschreiben aufgeben? Es war doch etwas, das er gut konnte, auch wenn es nicht die ernst zu nehmende Arbeit war, die seine Eltern

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