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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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Warum war er mit der Asche seines Vaters im Kofferraum vom einen Ende des Capes bis zum anderen und wieder zurück gefahren, ohne diesen schlichten Akt zu vollziehen? Er nahm an, dass es zum Teil am Cape selbst und an den Erinnerungen lag, die es heraufbeschworen hatte, seit er über die Sagamore Bridge gefahren war. Und auch wenn er es nicht gern zugab: Der unerwartete Anruf seiner Mutter (und das Bombardement mit Möwenscheiße) hatten ihn durcheinandergebracht. Aber gab es vielleicht außerdem irgendeinen verborgenen Widerwillen, irgendwelche unbewussten, uneingestandenen Skrupel? Irgendeinen Grund, seinem Vater nicht  die letzte Ruhe zu geben?
    Möglich. Joy sagte, seine Anfälle von Schlaflosigkeit hätten etwa zu der Zeit begonnen, als man seinen Vater tot auf dem Parkplatz der Raststätte gefunden habe, und behauptete, zwischen beidem und dem, was sie als seine »neueste Missstimmung« bezeichnete, bestehe ein Zusammenhang. Er hätte das verbindende Element nicht benennen können, wusste aber, das es ganz sicher nicht Professor William Griffin hieß. Er war unruhig gewesen, da hatte Joy recht, und Sids Anruf sowie die Tatsache, dass Griffin ihn nicht erreicht hatte, verstärkten diese Unruhe. »Der Sommer mit den Brownings« noch einmal zu lesen, hatte auch nichts gebracht. Plötzlich war es, als eiferten sein toter Vater, seine lebende Mutter, sein alter Beruf und seine Kindheit und Jugend um seine Aufmerksamkeit.
    Das war natürlich vollkommen albern. Immerhin spielten seine Eltern seit den Siebzigern keine dramatische Rolle mehr in seinem Leben. Das war ja der springende Punkt gewesen, als er nicht im Osten, sondern im Westen aufs College und später auf die Filmhochschule gegangen war, als er nach L.A. gezogen und dort geblieben war und eine Frau geheiratet hatte, die keinen akademischen Titel trug. Wie Huck Finn hatte er sich bei der ersten guten Gelegenheit in die Wildnis davongemacht. Das Problem schien zu sein, dass man zwar ein paar Tausend Kilometer zwischen sich und seine Eltern legen und ihnen unmissverständlich vermitteln konnte, wie sehr man ihre Werte ablehnte – aber wie konnte man eine Distanz zwischen sich selbst und seinem Erbe schaffen? Man konnte nicht verhindern, dass das Haar schütterer wurde oder dass die Nase mitten im Gesicht saß. Und was, wenn er die Werte seiner Eltern gar nicht so gründlich ablehnte, wie er gedacht hatte? Joy behauptete zum Beispiel, er neige dazu, das Glück nicht in der Gegenwart, sondern in einer nicht näher bezeichneten Zukunft zu suchen. »Und an wen erinnert uns das?«, wollte sie oft wissen. Aber war das tatsächlich, wie sie andeutete, eine angeborene Eigenschaft oder etwas durch Gewohnheit Erworbenes? In seiner Kindheit und Jugend hatten sie jedes Jahr in einem anderen Haus gewohnt, gemietet von Professoren, die ein Sabbatjahr einlegten. Das war der Grund gewesen, warum er vor Peter Browning keinen echten Freund gehabt hatte. Die Griffins blieben nie lange genug an einem Ort und er nie lange genug an einer Schule. Oft hatten sie noch gar nicht alle Umzugskartons ausgepackt, wenn sie schon wieder anfangen mussten, sie einzupacken. »Universitätsleben« nannten das seine Eltern, als wäre es dem Leben anderer Leute, die immer in ein und demselben Haus »gefangen« waren, in allen Belangen überlegen.
    Ja, kein Zweifel, seine Eltern waren die geborenen Mieter. Die Häuser der Professoren waren schön und die Mieten billig – jedenfalls bis sich herumsprach, wie unachtsam Griffins Eltern mit den Dingen anderer umgingen. Eine Professorin stellte nach ihrer Rückkehr aus Europa fest, dass aus ihrem Service für zehn Personen eines für sieben geworden war, ein anderer Kollege fand seinen Lieblingssessel aus der Zeit Queen Annes, dem inzwischen ein Bein fehlte, im feuchten Keller wieder. »Als wir nach Paris aufgebrochen sind«, sagten sie, »stand auf der Küchentheke ein Standmixer.« Worauf Griffins Mutter erwiderte: »Ach, das schreckliche Ding«, als wollte sie sagen, die Besitzer sollten ihr dankbar sein, dass sie sie von diesem grässlichen Gerät befreit hatte. Einmal hatten sie um ein Haar das Haus in Brand gesetzt, weil das Öl in der Bratpfanne in Flammen aufgegangen war und sie das Feuer mit Wasser hatten löschen wollen. Am schlimmsten war es in dem Jahr gewesen, als sie ein wunderschönes viktorianisches Haus mietfrei bekommen hatten. Die alte Professorin, der es gehörte, hatte nur eine einzige Bitte an seine Eltern gehabt: Sie sollten

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