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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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gearbeitet hatte, anstatt einen schönen Entwurf zu schreiben. Denn der Streik war vorüber, und sie waren pleite und, wie Tommy es prophezeit hatte, gezwungen, den erstbesten Mist anzunehmen, der ihnen angeboten wurde. Doch er schien tatsächlich fasziniert von der Geschichte. »Das arme Kerlchen kann einem echt leid tun«, sagte er. »Ich meine, diese Arschlöcher von Eltern …«
    Und das entmutigte Griffin mehr als alles andere. Tommy hatte es nicht ausformuliert, aber das brauchte er auch gar nicht. Die einzigen Figuren in der Geschichte, die echt wirkten, waren seine Eltern. Sie sollten eigentlich Staffage sein und kamen nur vor, weil ein Junge in diesem Alter nicht allein verreisen konnte. Es mussten irgendwelche unspezifischen Eltern dabei sein, doch dann war alles aus ihm herausgesprudelt, all das Zeug, das er damals nur halb verstanden hatte: wie diese fiktionalen Eltern sich gefreut hatten, dass ihr Sohn zeitweilig von einer anderen Familie adoptiert worden war. Sie freuten sich nicht für ihn , weil er einen Freund gefunden hatte, sondern für sich selbst. Denn jetzt konnten sie mit Al (ja, er hatte Al Fresco eingebaut) ausgedehnt auf der Terrasse frühstücken, lange Nachmittage am Strand verbringen, ohne ständig gefragt zu werden, wann sie denn nun endlich ins Wasser kämen, und in irgendeinem schönen Restaurant zu Abend essen.
    Griffin hatte die Geschichte mitsamt den Portfolios seiner Studenten mitgenommen und war neugierig, wie das Wiedersehen nach so langer Zeit ausfallen würde. Wer konnte es wissen? Vielleicht war sie ja gar nicht so schlecht, wie er sie in Erinnerung hatte. Wenn er sie auf dem Cape noch einmal las, fiel ihm möglicherweise der Schluss ein, der sich ihm in L.A.  entzogen hatte. Wenn es so war und Sid nicht wegen eines Drehbuchs angerufen hatte, würde er sie den Sommer über bearbeiten.
    In der trägen Nachmittagswärme auf der Veranda der Pension fiel es Griffin allerdings schwer, ganz in die fiktionale Welt der Erzählung einzutreten. Ein Teil des Problems war, dass seine frühere Einschätzung ihm korrekt erschien: Die Geschichte war nicht besonders gut. Was ihn aber noch mehr verwirrte, war die Frage, warum er sie überhaupt hatte schreiben wollen. Hätte er es versucht, wenn der Große Truro-Traum nicht gewesen wäre? Er bezweifelte es. Manche Geschichten drängten, selbst wenn sie tief in der Erinnerung und dem Unbewussten vergraben waren, ans Licht und verlangten so lange nach bewusster Aufmerksamkeit, dass einem gar nichts anderes übrig blieb, als sie zu schreiben. »Der Sommer mit den Brownings« gehörte nicht zu ihnen. Das alles war ihm nur eingefallen, als der Streik sich abgezeichnet und er nach etwas gesucht hatte, aus dem sich eine Erzählung oder Novelle machen ließ. Aber warum es überhaupt aufschreiben? Warum hatte er so bereitwillig, ja eifrig eingestanden, dass mit dem Leben, das Joy und er führten, etwas nicht stimmte? Was war so schlecht daran, jung und frei zu sein? Aus einem Impuls heraus nach Mexiko zu fahren? Ihre Wagen einer endlosen Parade neidischer Parkplatzwächter anzuvertrauen? So war das Leben in L.A. nun mal, sofern man es sich leisten konnte, und das konnten sie. Es Joy vorzuwerfen, war natürlich unfair. Es war ja nicht so, als hätte sie ihn hereingelegt. Wenn überhaupt, dann hatte er sich selbst hereingelegt. In einem Augenblick der Schwäche, trunken von Liebe, hatte er geglaubt, er könne eine andere Art von Schriftsteller sein als er es, wie er nur allzu gut wusste, war. Joy hatte bloß auf seine Begeisterung reagiert. Sie hatte ihn bloß geliebt – den Mann, der er war, und den Mann, der er in seinem törichten Überschwang glaubte werden zu können.
    Vielleicht traf keinen eine Schuld, aber das Ergebnis dieses begeisterten, von Liebe inspirierten Großen Truro-Traums war, dass Joy und er jetzt aus dem Lot waren. Aus dem Lot . Unwillkürlich lächelte er. Diesen Ausdruck hatte er schon jahrelang nicht mehr benutzt. In einem Sommer hatte er als Helfer bei einer Baukolonne gearbeitet, die Betonfundamente goss. Den ganzen Juli und August hatte er mit denselben beiden Männern gearbeitet. Wenn es ums Reden ging, waren Louie und Albert Minimalisten. »Sind wir im Lot?«, fragte Albert nach einer guten Stunde Schweigen. »Eben waren wir’s noch«, sagte Louie, legte die Wasserwaage an und musterte die Luftblase. »Mehr oder weniger«, sagte er dann mit einem Schulterzucken, das Griffin als »gut genug« deutete. »Schließlich bauen

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