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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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sich in Truro erträumt hatten, war Wirklichkeit geworden. Was gab es da zu beweinen?
    Griffin stand da, und ihm wurde bewusst, dass er dies nicht sehen sollte. Was immer der Kummer war, der seiner Frau gerade das Herz brach, war auch vor einer halben Stunde da gewesen, doch sie hatte gewartet, bis Griffin fort war. Und sie war auch nicht unten, in der Küche, zusammengebrochen. Nein, sie war hinaufgegangen, hatte Morgenmantel und Nachthemd ausgezogen und war in die Dusche gestiegen, wo die Spuren ihrer Trauer sogleich davongespült wurden. Wie lange blieb er wie festgenagelt in der Tür stehen und starrte sie ungläubig und benommen an, bevor er leise hinausging, in den Wagen stieg und zum College fuhr?
    Wie gut würde es sich anfühlen, dachte Griffin, wieder hineinzugehen und dem Begleiter der Frau eine reinzuhauen, dass er von seinem Barhocker fiel und seine Nase blutete. Sie versuchte tapfer, glücklich zu sein, und dieses Arschloch ließ sie einfach nicht.
    Stattdessen holte Griffin sein Handy hervor und wählte noch einmal Sids Nummer. Das hatte er im Verlauf des Nachmittags ein halbes Dutzend Mal getan, aber immer nur den Anrufbeantworter bekommen. Jetzt war es halb neun, erst halb sechs an der Westküste, doch wieder meldete sich nur der Anrufbeantworter. Es hatte keinen Sinn, noch eine Nachricht zu hinterlassen, und so legte er auf, blätterte durch sein Telefonbuch und hielt bei Tommys Namen inne. Sekunden später war sein alter Partner am Apparat.
    »Griff«, sagte Tommy, als hätte er den Anruf erwartet. Hast du genug davon, da drüben herumzuhampeln und Schnee zu schaufeln? Kommst du endlich wieder zurück? Das war es, womit Griffin rechnete, und nicht: »Ach, Gott, wirklich traurig, das mit Sid.«
    »Was ist mit Sid?« Doch noch während er das sagte, wusste Griffin, warum er Sid nicht erreicht hatte.
    »Ich hätte dich beinahe angerufen«, sagte Tommy. »Der arme Kerl ist im Schlaf gestorben, soviel ich gehört habe. Seine Haushälterin hat ihn gefunden.«
    Griffin sah hinaus auf das, was eben noch ein Parkplatz gewesen war und sich nun in einen See verwandelt hatte. Es war wirklich erstaunlich, wie stark es regnete.
    »Was ist denn das für ein Lärm?«, wollte Tommy wissen. »Liegst du unter Beschuss oder so?«
    »Es hagelt«, sagte Griffin und merkte erst, als er es aussprach, dass es stimmte. Halb durchsichtige Kügelchen, so groß wie Schnupfentabletten, tanzten auf der Kühlerhaube des Cabrios.
    »Wer will denn mit so was leben?«, fragte Tommy. »Ich meine, freiwillig.«
    »Ich kann’s nicht glauben«, sagte Griffin. »Sid hat mich gestern noch angerufen und eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen. Ich hab den ganzen Tag versucht, ihn zu erreichen.«
    »Komm doch zur Beerdigung. Du warst einer seiner Lieblingsklienten. Ich könnte mich täuschen, aber ich habe das Gefühl, er hatte sonst nicht mehr viele.«
    Sid war auch Tommys Agent gewesen, aber Tommys neuer Partner, mit dem er sich kurz nach Griffins Umzug an die Ostküste zusammengetan hatte, ließ sich von einer der großen Agenturen vertreten, und so hatte auch Tommy gewechselt.
    »Außerdem würde ich mich freuen, dich wiederzusehen. Wenn du willst, stelle ich dir meinen Partner vor. Bring Joy mit. Wir machen irgendwas, wir gehen in einen Laden, den wir uns nicht leisten können, und benehmen uns daneben. Wie in den alten Zeiten.«
    Er war in Versuchung, Tommy zu sagen, dass die alten Zeiten längst vorbei waren, dass Joy und er sich nicht mehr danebenbenahmen und dass die Frau, die er gekannt hatte, nicht mehr existierte. Jener Morgen unter der Dusche war eine Ausnahme gewesen, und dafür war er dankbar. Seine Frau hatte alles, was sie wollte, und er konnte sich nicht erinnern, dass sie je ihre Meinung geändert hätte. Und was war mit Griffin? Wenn die Frau, an die Tommy sich erinnerte, nicht mehr existierte, dann existierte er vermutlich auch nicht mehr.
    Aber natürlich sagte er nichts dergleichen. Sie verabredeten, dass Tommy ihn anrufen würde, sobald er Einzelheiten wusste. Griffin unterbrach die Verbindung, doch bevor er den Zündschlüssel drehen konnte, läutete das Handy, und Griffin, der dachte, Tommy habe lediglich etwas vergessen, nahm den Anruf an.
    »Nur damit du weißt, dass du mich nicht täuschen kannst«, sagte seine Mutter.
    »Wovon redest du, Mom?«
    »Du willst seine Asche verstreuen, stimmt’s? Darum hast du an ihn gedacht.«
    »Mom –«
    »Du warst schon immer durchtrieben. Schon als

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