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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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Drehbuchschreiben war Teil einer Vergangenheit, die sie in beiderseitigem Einvernehmen hinter sich gelassen hatten. Das war auch der Grund, warum sie Sids Anruf vergessen hatte. Es war sogar möglich, dass sie dachte, Sids Tod bedeute nicht nur das Ende von Sid, sondern auch von Griffins Karriere als Drehbuchautor – das letzte Fädchen war sauber abgetrennt. Er war jetzt nur noch eines: Professor an einem sehr guten College, wogegen er zuvor zweierlei gewesen war. Sie selbst war die stellvertretende Leiterin der Zulassungsstelle am selben College, und obwohl das die nüchterne Wahrheit war, ärgerte auch dies ihn. Immerhin hatte er eine feste Anstellung und sie nur einen befristeten Vertrag, aber jeder, der sie hörte, musste denken, dass sie auf der Karriereleiter höher stand als er. Dieses kleinliche Genörgel hätte natürlich zu seiner Mutter gepasst und war seiner vollkommen unwürdig, umso mehr, als Joy es gar nicht so gemeint hatte. Dennoch war er erleichtert, als seine Frau die Stimme sinken ließ und sich die Aufmerksamkeit den beiden stämmigen Frauen gegenüber von ihnen zuwandte.
    Sie stammten aus Liverpool, und ihr Akzent war beinahe nicht zu verstehen. Sie waren, selbst für einen Anlass wie diesen, außerordentlich gut gelaunt und hatten bisher über alles gekichert, was irgendjemand gesagt hatte, als hätte man ihnen, bevor sie Platz nahmen, zugeflüstert, die anderen Gäste am Tisch seien allesamt Berufskomiker. Griffins Erfahrungen mit Lesben beschränkten sich auf die akademische Variante – eine grimmige, wütende, humorlose Bande –, und so war dieses hochgestimmte Pärchen eine Überraschung. Sie demonstrierten die britische Angewohnheit, einfache Aussagen wie Fragen klingen zu lassen und dann einen Augenblick innezuhalten, als erwarteten sie eine Antwort. Sie kannten die Braut schon seit vielen Jahren, nicht? Seit sie ein Auslandssemester in Norwich studiert hatte, an der University of East Anglia, wo sie keine Menschenseele gekannt hatte, nicht? Aber sie hatten ihr schnell geholfen: Am ersten Freitagnachmittag hatten sie Kelsey gepackt, aus dem Wohnheim geschleppt und auf ein Pint in ihren Lieblingspub geführt, und dann hatten sie ihr all die anderen guten Pubs gezeigt und sie mit den anderen Mädels bekannt gemacht ( Den anderen was?, dachte Griffin. Ach so, den anderen Mädels), und als dann Weihnachten kam, hatten sie sie mitgenommen nach Hause und ihren Mums und Dads vorgestellt, und es war wirklich alles ein Mordschpaß gewesen, nicht? Trotzdem hätten sie sich fast auf den Hintern gesetzt, als sie die Einladung zur Hochzeit bekommen hatten, denn keine von beiden war jemals in den Vereinigten Staaten gewesen, nicht?
    Als sie fertig waren, hielten sie einander bei den Händen, was Marguerite offenbar für ein ausländisches Ritual hielt, denn sie fragte, ob eine von ihnen verheiratet oder verlobt sei. »Alle beide«, erwiderte die eine und drückte die Hand der anderen, »mitnander«, als wäre es möglich, dass ihre sexuelle Orientierung eine britische Eigenart war, die es noch nicht über den großen Teich geschafft hatte. Vermutlich weil es ihr peinlich war, die beiden nicht als Paar erkannt zu haben, sagte Marguerite, sie habe schon immer einmal nach England fahren wollen, es aber nie getan, weil – und hier gab sie Harold einen Rippenstoß – nie jemand so nett gewesen war, mit ihr dorthinzufahren. »Frauen«, sagte Harold, wieder zu Griffin gewandt. »Sie können einfach nicht aufhören.«
    Marguerite sah, dass er seinen Champagner schon beinahe ausgetrunken hatte, und stieß ihn an. »Der ist für den Toast auf das Brautpaar.«
    »Vervollständige diesen Satz und gewinn einen Preis«, sagte Harold. »Hör … jetzt …«
    Da keine Frauen in ihrem Namen sprechen konnten, mussten die letzten beiden – Sunny und ein Mann im Rollstuhl – ihre Sache selbst vertreten. Der Letztere trug ein schiefes Lächeln zur Schau – wenn es denn ein Lächeln war und keine Grimasse –, das einen kürzlichen Schlaganfall verriet. Während die anderen sich vorgestellt hatten, war sein Blick auf das Besteck gerichtet gewesen, als befürchtete er, die Gerätschaften könnten zu gefährlichem Leben erwachen. Rechts und links von ihm befanden sich eingedeckte, aber leere Plätze, als glaubten alle, sein Zustand sei ansteckend. Mit lauter, blökender Stimme sagte er, er sei in der sechsten Klasse der Mathematiklehrer des Bräutigams gewesen, was die beiden Lesben zu neuem, noch ausgelassenerem

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