Diese Dinge geschehen nicht einfach so
erfüllt davon, ein neues Haus zu kaufen, mit fünf Schlafzimmern; das neue Haus war riesig, eine Höhle, hohl. Der Schwerpunkt der Familie hatte sich verlagert, obwohl außer ihm keiner dies zu bemerken schien. Vorher: Kweku und Fola gemeinsam im Zentrum, ein Paar, das sich leise unterhielt, leise lachte, anwesend, »zu Hause«. Und jetzt war durch ihre Abwesenheit ein kleiner Hohlraum entstanden, Fola verloren an das Baby, Kweku verloren an die Arbeit. In diesen freien Raum rutschten ihre Träume von der
Zukunft
, eine Vision von einem Zuhause in gut zehn Jahren, wenn ihre beiden Projekte Wirklichkeit geworden waren (erwachsene Babys, Privatpraxis) und sie wieder auftauchen konnten. Das wurde der Zellkern, passend zur Familie, der Keimzelle – die
Zukunft
–, und von diesem Kern breiteten sich Ringe aus, eine neue Ordnung, dezentralisiert, individualisierte Bemühungen, den Berg zu besteigen, jeder für sich. Verschwunden war sein Platz zwischen Paaren, als der Älteste, der Vermittler zwischen Eltern und Kindern, er schien für Kweku und Fola nichts Besonderes mehr zu sein, ihr Erstgeborener, das Preispferd, aber auch den Zwillingen war er nicht nahe.
Seit der Auflösung des Zentrums waren die beiden enger zusammengerückt, nach innen gewandt. Als autonome Einheit wirkten sie weniger fragil. Sie flüsterten und kicherten und schmiedeten mit ihren Blicken Komplotte. Sie brauchten keinen Schutz. Sie brauchten keinen großen Bruder.
Und vielleicht weil dieser Bruder vierzehn war und gerade einen Wachstumsschub durchgemacht und seine alte Stimme verloren hatte und im Wartezimmer von »erst ungelenk, dann gutaussehend« gelandet war, mit einem gnadenlosen Schubs aus der Kindheit hinauskatapultiert, merkte er ganz plötzlich, dass er nicht schön war, jedenfalls nicht so wie die beiden, kein schöner Junge. Dieses Privileg gehörte Kehinde, Schönheit und noch ein Kind, zwei Zustände, die er selbst vorher gar nicht richtig bemerkt hatte, jetzt aber verzweifelt vermisste, weil er wusste, was er
nicht
war. Etwa um diese Zeit sagte nun jemand, der ihn und Kehinde kennenlernte, diesen Satz: »Der eine hat die Schönheit, der andere das Gehirn«, wobei in dieser Gleichung ein »>« impliziert war, kein »=«, wie man an der Reaktion merken konnte (Schulterklopfen, gezwungenes Lachen, Themenwechsel), während Olu grinsend dastand, verlegen vor Schmerz,
also stimmte es, er war weniger wert als
… Eifersüchtig auf Kehinde.
Gut zwanzig Jahre später kommt das Gefühl zurück, der gleiche schreiende Schmerz, als sie in der Einfahrt standen und er dem Gefühl, beobachtet zu werden, folgte und sah, dass sein Bruder seine Freundin anschaute und die Lippen spitzte.
Ling würde sich für Kehinde entscheiden
, war sein nächster Gedanke, und er verlor sofort den Geruch der Vergangenheit, den Geruch von Baumsaft und Feuchtigkeit und Brennen und Schweiß und dunklem, rötlich-braunem Öl, weil er selbst rot wurde. Wenn es darauf ankäme, würde sich Ling für Kehinde entscheiden; jede Frau, die einigermaßen bei Verstand war, würde sich für ihn entscheiden. Kehinde war glamourös und berühmt und reich, ein Künstler, wohingegen Olu als Assistenzarzt arbeitete. Ursache und Wirkung. Aber er könnte es nicht ertragen,
sie zu verlieren
, denkt er, die Hand auf dem Schmerz, den Blick auf den Ventilator gerichtet, und sein Bruder so still wie eine Bedrohung. Oder, genauer gesagt:
sie auch noch zu verlieren.
5
Kehinde spürt, dass sein Bruder nicht schläft, dass seine Augen noch offen sind (und sich mit Tränen füllen), aber er liegt nur da und sagt nichts, entnervt von dem Gefühl, das ihn nicht loslässt, seit sie hier angekommen und ausgestiegen sind. »Er ist tot«, hat er gesagt, und ihm tat alles weh, und sie lachte, während der Chor ein Kirchenlied schmetterte (»no shadow of turning«) – und dann waren sie hier: vor einem Haus, das an Colorado erinnerte, und ein Houseboy kam mit Bargeld für das Taxi. Ein extrem hübsches Housegirl kümmerte sich intensiv um Fola, die anderen stiegen aus dem Mercedes, der Houseboy holte das Gepäck aus dem Kofferraum des Taxi, die rostige Tür quietschte, als Taiwo ausstieg. Er öffnete seine Tür und blinzelte, als er ins Freie trat, belästigt von dem Licht, von dem Stachel ihres Lachens und von dem Gedanken,
sie hat recht
, obwohl sie es gesagt hat, um ihn zu kränken, weil er ja früher dazu fähig war:
Er kann ihre Gedanken nicht lesen
.
Jahrelang hatte er es gekonnt. Er
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