Diese Dinge geschehen nicht einfach so
eures V… ein Freund der F-familie«, stammelt sie. »Von Hopkins.«
»Hallo!«, Er hält die Flasche hoch und lächelt ihnen traurig zu. »Schön, euch alle kennenzulernen. Mein herzliches Beileid.«
Sie starren ihn mit leeren Augen an, der Gesichtsausdruck kurz vor »kalt«, selbst Ling, als wäre dieser Mann der Grund für ihr Leid, weil er es als Erster ausspricht, während sie selbst gerade kurz davor waren, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen. Weil Benson das spürt, fügt er, an Fola gewandt, leise hinzu: »Ihr steht bestimmt alle unter Schock. Ich kann es selbst noch gar nicht fassen.«
Fola überkommt ein Gefühl das sie seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gehabt hat, nämlich die Sorge, dass ein Fremder ihre Kinder nicht wohlerzogen genug finden könnte. Also hält sie die Blumen hoch. »Sind die nicht herrlich? Gardenien.« Sie lächelt mit so viel Nachdruck, dass alle ihr Lächeln erwidern. Den Strauß, der eigentlich für einen Kaminsims gedacht ist, stellt sie mitten auf den Tisch, wo er nicht hinpasst. Die dekorativen Farnwedel hängen im Reistopf, die Blumen verdecken den Blick. Als alle Platz nehmen – was sie jetzt tun, dazu aufgefordert –, können sie wegen der Blumen ihr Gegenüber nicht sehen.
Benson setzt sich auf den freien Platz und lächelt Olu zu. »Ich wusste doch, du kommst mir bekannt vor«, sagt er und rückt an den Tisch. Seine Stimme ist so leise, dass die anderen nicht hören können, was er sagt, und Olu ist so dunkel, dass man ihm nicht ansieht, wie ihm das Blut ins Gesicht steigt, aber er schüttelt steif den Kopf, nach links, nach rechts, nur einmal, schnell, und Benson nickt einmal – auf, ab, auf – als Antwort (er hat verstanden, dass er das Thema fallenlassen soll, etwas, was Männer manchmal schon beim kleinsten Hinweis kapieren: ein kurzes Nicken, ein kurzes Stirnrunzeln, die dunklen Künste der Augenbrauen, simsalabim, Thema wird gewechselt, ohne dass der Tonfall sich ändert.) »Als ich euch zwei das letzte Mal gesehen habe, wart ihr noch in Windeln.« Er lächelt den Zwillingen zu, deren Gesichter durch die Blumen verdeckt sind. »Mein letztes Jahr als Assistenzarzt. Jetzt seid ihr – was? – dreißig?«
»Neunundzwanzig«, antworten sie gleichzeitig, mit der gleichen heiseren Stimme.
»Oktober«, fügt Kehinde noch hinzu. »Nächsten Oktober werden wir dreißig.«
»Und du.« Er schaut Sadie an, die neben Kehinde sitzt, weniger verborgen. »
Du …
warst nur ein Flimmer in …«
»Meinem Eierstock«, sagt Fola präventiv. »Genauer gesagt.«
»Das ist ja obszön«, sagt Sadie. Das ist der Teil, vor dem ihr immer am meisten graust: Wenn fremde Leute fragen, wie alt sie alle sind, und das tun sie immer. Sie ahnt das schon voraus, wie einen Tonartwechsel in einem Popsong, sie weiß, wann die Überleitung kommt. Jetzt mustert sie den Mann am Tischende und fragt sich, warum er hier ist, aber so besonders stört er sie auch wieder nicht. Dadurch, dass ein Gast da ist, werden sie wenigstens von dem Schmerz abgelenkt, der vorhin, bei der allgemeinen Stille, über ihnen lag, doppelt schwer, da unausgesprochen, uneingestanden, der Schmerz selbst samt seinem Schatten, ein riesiger Fleck. Jetzt können sie ihn alle auf Benson abwälzen, der die Rolle übernommen hat, die kein anderer haben wollte, der gesagt hat, was kein anderer sagen wollte, und der mit seinem Blumenstrauß das traurige Bild in zwei Hälften zerteilt hat. Benson ist schuld, dass sie alle so aufrecht sitzen müssen; sie müssen höflich lächeln, leise sprechen,
weil ein Gast da ist
, der genauso wie sie selbst in das Drama verwickelt ist, das zu Familienmahlzeiten gehört (auch wenn kein Todesfall in der Familie ist), aber trotzdem ist er ein Besuch, ein Unschuldiger, der Schutz verdient. Sie müssen dafür sorgen, alle miteinander, dass der Gast sich wohl fühlt. Sadie lächelt ihm matt zu. »Stimmt. Ich bin erst später auf die Welt gekommen. Ich bin Sadie.«
Ling steuert ihr helles Glöckchenlachen bei. »Eierstöcke sind nicht
obszön.
«
Schnell mischt sich Olu ein, an Benson gewandt: »Sie ist Frauenärztin. Ich bin Orthopäde.«
»Zwei Ärzte!«, ruft Benson. »Es liegt also in der Familie. Ich habe leider deinen Vornamen nicht verstanden.« Ling sagt ihm, wie sie heißt. »Tja, Ling – Ghana braucht dringend gute Ärzte, vor allem Geburtshelfer und Pädiater. Ich habe vor sieben Jahren ein kleines Krankenhaus gegründet. Wir haben immer noch eine Warteliste für
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