Diese Dinge geschehen nicht einfach so
ist. Sie will, dass Ling das gleiche Gefühl von Schwere empfindet und dass sie sich geniert, weil sie es nicht schafft, sie, Taiwo, zum Reden zu bringen. Deshalb hört sie auf, nach einem T-Shirt zu suchen, in dem sie schlafen kann, und legt sich einfach vollständig angekleidet auf ihrer Seite des Betts auf den Rücken, gähnt laut und bedeckt ihr Gesicht mit dem Arm, um zu demonstrieren, dass sie gleich einschläft.
Ling merkt es nicht, weil sie Taiwo den Rücken zudreht und ein paar kleine Kleidungsstücke am Fuß des Bettes ausbreitet. »Ich glaube, dein Bruder mag mich nicht«, sagt sie dann lachend.
»Olu ist halt so«, murmelt Taiwo. Aber sie grinst. Heißt das, Olu hat es aufgegeben, so zu tun, als würde er seine beste College-Freundin lieben? Auch gut – nur Idioten überstürzen so etwas. Aber das ist schon ein bisschen übertrieben: gut fünfzehn Jahre und keine Hochzeit in Sicht. Ihr Bruder küsst diese Frau nie in der Öffentlichkeit und berührt sie auch nie so nebenher, wenn sie die Mäntel anziehen; er hat sie quasi in der Einfahrt stehen lassen, als sie angekommen sind, keine Spur von Anschmiegsamkeit, die mit der Leidenschaft kommt. Taiwo hat schon lang den Verdacht, dass es hier um ein Verschleierungsmanöver geht (Asexualität, Abtreibung am College, etwas in der Art), und vermutet, dass die beiden sich aufgrund der Tragödie, die über sie hereingebrochen ist, eventuell veranlasst sehen, endlich Farbe zu bekennen.
Aber Ling sagt: »Kehinde. Er sieht mich komisch an.«
Beim Klang des Namens verkrampft sich Taiwo, ein uralter Reflex, als wäre ihr eigener Name ausgesprochen worden und nicht der ihres Zwillingsbruders. Sie nimmt den Arm vom Gesicht, um Ling mit finsterem Blick zu mustern. »Was meinst du mit ›komisch‹?« Ohne eine Antwort abzuwarten: »Das ist alles ziemlich schwierig für unsere Familie …«
»Ja, natürlich.«
»Und wenn Kehinde
komisch
guckt«, als wären die Wörter nicht englisch, »dann liegt das nicht daran, dass er … dich … ansieht.«
»Ich wollte auch gar nicht andeuten …«
Die Andeutung schwebt zwischen ihnen hin und her.
»Ich bin müde«, verkündet Taiwo, als wäre es Lings Schuld. Sie dreht sich zum Fenster, ihr Herz rast vom Lügen und weil die Aggression in ihr hochsteigt, die immer noch in ihrer Kehle steckt. Ein altes Gefühl taucht wieder auf, elementar, unerklärlich,
unnatürlich
: Sie ist eifersüchtig.
4
Wohingegen Olu und Kehinde einfach daliegen und zur Decke starren.
»Schon komisch«, sagt Olu. »So zu schlafen.«
»Wie früher«, sagte Kehinde, um irgendetwas zu sagen. Schweigen. Sie sind sich einig, es auf sich beruhen zu lassen, was sie durch ein leises Lachen ausdrücken.
Olu faltet die Hände auf dem Bauch, die Augen offen. Er denkt, dass der Geruch vertraut ist, wenn auch seltsam, diese zäh/süßliche Kombination von Pflanzensaft und Feuchtigkeit und Verbrennen und Schweiß und dunklem rötlich-braunem Öl. Er wusste es sofort, als er aus dem Mercedes ausstieg und in der gekiesten Einfahrt stand und diesen Geruch einatmete und Sekunden davon entfernt war, ihn einzuordnen ( 1997 , Accra), aber dann sah er, wie Kehinde Ling anstarrte.
Kehinde starrte sie wirklich an, das war kein normales Anschauen, und er merkte gar nicht, dass er so glotzte, mit zusammengekniffenen Augen. Und dann spitzte er die Lippen, als würde er das richtige Wort suchen, bis Olu verkündete: »Dann wollen wir mal« und einen Koffer ergriff und Ling einfach stehenließ und zur Tür stapfte. Er hatte seinen Bruder noch nie mit einer Frau interagieren sehen und im Grunde immer vage gedacht, Kehinde sei schwul, nicht, weil er sich für Männer interessierte, sondern eher, weil er kein Interesse an Frauen hatte, fast selbst weiblich, wie ein Tänzer, die Haare. Deshalb erschreckte es ihn, dass er sich bedroht fühlte und durch Kehindes Reaktion auf Ling irgendwie gekränkt. Ein merkwürdiges Gefühl, aber gleichzeitig sehr vertraut, genau wie der Geruch, ein altes Gefühl, das rostig und laut geworden ist, weil es so lang nicht genutzt wurde. Das letzte Mal, dass er es empfunden hat, war vermutlich, als sie noch Kinder waren, er vierzehn oder fünfzehn, sein Bruder noch keine zehn, als irgendein Freund ihrer Eltern, eher gedankenlos als böse gemeint, sagte: »Der eine hat die Schönheit, der andere das Gehirn.«
Es war nicht das erste Mal, dass ihm auffiel, wie verschieden die Leute auf ihn und auf Kehinde reagierten. Sie waren wirklich
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