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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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Solo des Mädchens vor und verschränkt die Arme vor der Brust mit einem mitleidigen Lächeln.
    Komisch, wie so was läuft.
    Das Mädchen beginnt sein Solo. Fast ungeschickt zuerst, irgendwie ruckartig. Steife Bewegungen. Die Zuschauer fangen an zu klatschen, und Sadie lacht leise. Verdacht bestätigt.
Ein hässlicher Körper kann nicht tanzen
. Aber das Mädchen strahlt immer noch, die schmalen Augen funkeln, vielleicht lacht sie auch über das Spiel der Gene. Sie schwenkt die Hüften nach rechts, dann nach links. Blickt direkt zu Sadie, winkt mit der Hand, dann legt sie los.
    Unfassbar, unbeschreiblich, wie dieses Mädchen sich bewegt. Virtuos, ohne Mühe, ohne Brüche, sie vollführt eine Unzahl winziger Bewegungen mit Schenkeln, Füßen und Rumpf, passend zu Synkopen, die nur sie hört, passend zu den Trommeln. Ein Strom. Runder Körper, elektrisch. Die Zuschauer jubeln wie wild, während sie mit den Hüften wirbelt, bis eine der Trommeln
klack!
macht und das Mädchen vor Sadie stehen bleibt, die rechte Hand ausgestreckt, einen Fuß vom Boden gelöst.
    Sadie starrt sie an, mit offenem Mund und angehaltenem Atem, und versteht nicht, was die Geste bedeutet. Die Trommler trommeln wieder weiter, das Mädchen wirbelt wieder herum, die Leute klatschen wieder – dann
klack!
Und sie bleibt erneut stehen. Die Hand nach Sadie ausgestreckt.
    Sadie dreht sich zu Fola. »W-w-will sie Geld?«
    »Sie will, dass du mit ihr tanzt.«
    »Bra, bra, bra«,
macht das Mädchen, die Handflächen nach oben gedreht. »Bitte,
sis-taa,
komm. Komm tanzen, ich bitte.« Sie nimmt Sadies Hand, macht einen kleinen Schritt zurück, so dass Sadie sich vorbeugt und schließlich von der Bank erhebt. Die Leute klatschen begeistert über diese neue Entwicklung. Sadie wird verlegen, schüttelt den Kopf. »Nein, das kann ich nicht.« Sie ist kurz davor, in Tränen auszubrechen, spürt, wie es immer schlimmer wird, Knoten in ihrem Magen, aufsteigende Galle. Sie geht einen Schritt zurück, aber das Mädchen zieht sie mit sich, und sich loszureißen, wagt Sadie nicht. Ihre Geschwister beobachten sie mit einer Mischung aus Sorge und Ermutigung, mit großen Augen und lächelnden Mündern, als würden sie einem Baby zuschauen, das gerade laufen lernt, bereit, sofort zu Hilfe zu eilen, wenn sie hinfällt.
    Aber sie fällt nicht hin.
    Wenn sie später darüber reden, werden sie sagen: Ein Mädchen ist auf Sadie zugegangen und hat sie von ihrer Bank geholt, ihr kurz die Grundschritte beigebracht, die Sadie ein paarmal wiederholte, die Trommler fühlten sich angespornt und trommelten ein bisschen schneller, Sadie machte zum Entzücken der Zuschauer den Rhythmus mit, und ehe man sich’s versah, tanzte sie auf dem Platz, als wenn sie seit ihrer Geburt nichts anderes getan hätte, als traditionellen Ga-Tanz zu tanzen. Niemand wird je wissen, was Sadie in diesem Augenblick gepackt hat, nicht einmal Sadie selbst, als die hartnäckige Tänzerin sie am Ellbogen fasst und mit einem leichten Zerren wiederholt: »Bitte,
sis-taa
, bitte komm.« Sie zieht Sadie weg von den Bänken. »So geht’s«, sagt sie und führt ihr die Schritte vor, eins, zwei. Sadie hat Tränen in den Augen, und die Tränen werden fallen, auch wenn sie selbst nicht fällt, also starrt sie auf den Boden, auf die kleinen nackten Füße des Mädchens, eins zwei, eins zwei, eins zwei, eins zwei. Ein Stellvertreter-Herzschlag. Ruhiger und sicherer. Sie macht ein paar Schritte. Hört den Beifall der Zuschauer. Ihr wird heiß, es ist so peinlich. Zu spät, um sich wieder hinzusetzen. Sie heftet den Blick auf den Boden, auf ihre Füße, befiehlt ihnen, sich zu bewegen. Die Füße gehorchen, verblüffend, sie bewegen sich von links nach rechts. Das Mädchen ruft:
»Ehn-hehn!«,
stolz auf ihre Schülerin. Sadie schaut jetzt hoch, während sie sich bewegt. »Ja? So?« Mehr Bewegung. Mehr Beifall. Mitreißend, der Trommelrhythmus. Spannung im Bauch. Die in die Oberschenkel übergeht. Dann in die Knie, die Waden, das Schienbein, die Füße. Sie traut sich nicht aufzuhören, also macht sie weiter. Beginnt zu tanzen. Zuerst ganz langsam, die Augen auf die Füße des Mädchens gerichtet, denen sie mühelos folgt – dann ein Funke, etwas klickt, eine innere Logik setzt ein, eine Fremde in ihr, die weiß, was zu tun ist, die diese Musik kennt, diese Schritte, diesen Rhythmus, ihr Körper lockert sich, die Augen immer noch auf die Füße gerichtet, sie bewegt sich, ohne sich umzusehen, sie hat Angst aufzuhören,

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