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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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weiter, es ist dieses Brodeln in ihrem Inneren, das ihre Schritte beschleunigen lässt und ihr Denken blockiert. Sie sieht nur noch eines vor sich, nämlich wie ihre Mutter Sadie umarmt, und sie kann nur einen Gedanken denken:
Aber nicht mich
. Raserei und Selbstmitleid und Scham wegen des Selbstmitleids. Feuer in den Beinen. Schneller, immer weiter, gehetzt – bis sie, fast schon laufend, den Dorfrand erreicht, und als sie sich umschaut, stellt sie fest, dass sie einen kleinen freien Platz erreicht hat. Hier verbauen keine Häuser mehr den Blick auf den Ozean, es winkt der Sand, offen, wie eine Antwort.
     
    Der Strand ist fast leer, die Sonne schon beinahe im Zenith. Vier kleine Jungen spielen Fußball ohne Schuhe und grinsen Taiwo freundlich zu, als sie zwischen den Palmen auftaucht, hören aber nicht auf, den Ball zu treten und sich auf Ga zu unterhalten. Taiwo zieht ihre Flipflops aus und stapft durch den Sand, der hart ist, weißlich-grau, glühend heiß um diese Tageszeit; sie spürt, wie sich ihre Wut abkühlt durch die frische, feuchtere Luft, durch den Salzgeschmack und die Meeresbrise und das Rauschen der Wellen. Sie geht weiter, weg von den Jungen und ihrem Gelächter, ihre Gedanken setzen immer noch nicht ein, sie keucht nur und ist jetzt schweißgebadet.
    Etwa eine halbe Meile vor ihr steht ein Gebäude aus der Kolonialzeit, das aussieht, als wäre es früher einmal ein grandioses Strandhaus gewesen, mit Terrassen und Säulen, nun gnadenlos der Sonne ausgeliefert. Ein paar Meilen weiter beginnt das nächste Dorf. Irgendwo in ihrem Kopf meldet sich ein Fluchtgedanke – immer weiterlaufen bis ans Ende dieses Strandes –, doch das Gebäude, das da so düster vor ihr steht, lenkt sie ab. In seinem Schatten verfärbt sich der Sand braun. Sie muss an das Haus denken, das sie gehasst hat, die gleiche mürrische Stimmung, die Geister anderer Familien, fremder Menschen, längst toter Europäer, hier nun an einem Strand mit Booten und Palmen und ein paar strohgedeckten Hütten, die jemand im Schatten gebaut hat. Taiwo bleibt stehen und betrachtet das Gebäude. Es wirkt deplatziert in dieser Umgebung, so wie sie sich immer gefühlt haben, eine afrikanische Familie in Brookline, wie
sie
sich immer gefühlt hat in jenem Schlafzimmer, wo die Gespenster sich mehr zu Hause fühlten als sie selbst. Und dann lacht sie.
    Das Sichtbare ist lächerlich: dieses Haus an einem Strand bei einem Dorf in Ghana, das Heim irgendeiner weißen Familie, die Farbe abgeblättert und die Fensterhöhlen leer, aber es ist
hier
, immer noch dominant und Achtung gebietend. Sie lacht beim Gedanken an ihren Vater. Ein kleiner Junge hier am Strand, der zu diesem Haus emporblickt und denkt, eines Tages wird er ein Haus haben, das genauso groß ist, so dominant. Der denkt, eines Tages wird er ein eigenes Stück Land erobern.
Was er ja auch getan hat
, denkt sie lachend – dieses Grundstück in Brookline, auf dem ein ebenso freudloses Haus stand, ein »Zuhause«, ausgedacht von den gleichen rosagesichtigen Briten, die auch dieses Ding hier am Strand hätten entwerfen können, schwerfällig, ein Fels, ein Manifest –
aber ohne die Unbeweglichkeit
, ohne die Aura der Dominanz, des Selbstvertrauens und der Dauerhaftigkeit. Er hat neues Land erobert, und er hat ein Heim gegründet, aber seine Scham war zu groß, und seine Eroberung wurde verkauft. Wahrscheinlich sogar
zurück
verkauft an eine nette rosagesichtige Familie, Nachkommen der Pilgerväter, die sich besser auskannten mit Dominanz. Dem neuen Jungen weggenommen, den Einheimischen zurückgegeben, den Cabots oder Gardeners oder Pallys, nicht den Sais.
Armer kleiner Junge
, der an diesem Strand herumgelaufen ist und von einer neuen Heimat und von grandiosen Häusern geträumt hat, denkt sie, mit aufgeplatzten Füßen und Fußsohlen, die sich schwarz verfärbten. Der seinen Irrtum nie erkannte (sie hätte es ihm gesagt, wenn sie die Möglichkeit dazu gehabt hätte): dass er nämlich nie ein Zuhause finden würde, jedenfalls kein Zuhause, das Bestand habe würde. Jemand, der Scham empfindet, fühlt sich nie zu Hause, wird sich nie zu Hause fühlen. Sie lacht beim Gedanken an diesen Jungen hier am Strand und lacht noch lauter beim Gedanken an das Haus, das er gekauft hat, aber am lautesten lacht sie, als sie an sich selbst in diesem Haus denkt, zwölf Jahre alt, noch ein Mädchen, noch erfüllt vom Glauben an ein Zuhause.
    Das Übliche passiert:
    Sie lacht, bis ihr vor Lachen die Tränen

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