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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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dem Laken passiert war. Vor ein paar Tagen hatte sie beim Aufwachen geblutet, nur ein kleines bisschen; ihre erste Periode, das wusste sie aus dem Sexualkunde-Unterricht. Sie sagte dem jüngsten Houseboy, Babatunde, Bescheid, der ein paar Stunden später mit Tampons und Binden zurückkam, eine riesige Tüte voll, ohne große Umstände. Sie war jetzt also »eine Frau geworden«. Diese Formulierung hatte ihre Lehrerin verwendet. »Eine Frau werden«. Taiwo fühlte sich nicht wie eine Frau. Sie fühlte sich gereizt und unwohl (vielleicht war das ein Zeichen von Frausein?). Und nun stand Niké vor ihnen mit diesem Laken und dem Blutfleck, den Taiwo nicht bemerkt hatte. Na gut, dass sie ihre Tage bekommen hatte, war leicht zu erklären. Schwerer zu erklären war schon, warum sie und Kehinde in einem Bett schliefen. Bisher war ihr das nie komisch vorgekommen und schon gar nicht »widerlich«, aber als sie jetzt zu reden anfing, kamen ihr Zweifel.
    Zwei Erinnerungen tauchten auf, die erste nur undeutlich, ein bisschen wie ein Traum, der einem in der Morgendämmerung einfällt. Es war die Erinnerung an einen Morgen, einer von vielen, an denen sie neben Kehinde aufgewacht war, vor einem Monat, oder länger, vielleicht vor ein paar Monaten, sie wusste es nicht mehr. Sie wusste nur noch, dass sie sehr früh, vor Sonnenaufgang, aus einem Traum aufwachte, alles verschwommen, immer noch im Halbschlaf, und dass sie etwas Hartes hinten an ihrem Oberschenkel spürte, als sie sich vom Rücken auf die Seite drehte, weg von Kehinde. Die Augen geschlossen, kaum bei Bewusstsein, dachte sie:
Es ist sein Fuß
, griff danach, murmelte: »Mach Platz, Mann« und wollte ihn wegdrücken. Die Erektion fühlte sich so fremd an in ihrer Hand – hart und warm, gleichzeitig fleischig und weich –, dass sie nicht gleich begriff, was sie da anfasste. Ihr Bruder rührte sich mit einem leisen Schnarchen. Erschrocken ließ sie los. Lag neben ihm, mit offenen Augen, ihr Herz raste, und aus irgendeinem Grund hatte sie Angst, wovor weiß sie nicht mehr. Vielleicht glaubte sie, dass sie träumte, dass sie es nur geträumt hatte? Sie schlief wieder ein. Erst jetzt dachte sie wieder daran.
    Und die zweite Sache. Eigentlich keine Erinnerung. Eine Angewohnheit. »Widerlich«. Etwas, womit sie anfing, als die Schule zu Ende war und sie die Tage in der Wohnung verbrachten, träge Stunden am Swimmingpool oder bei Zeichentricksendungen im Fernsehen. An einem Tag ging sie vom Pool zurück ins Haus, um zu duschen und sich umzuziehen, während Kehinde sich noch im Wasser treiben ließ. Sie zog ihren Badeanzug aus und suchte nach einem Handtuch, als sie das große Buch entdeckte, das sie von zu Hause mitgebracht hatte. Eine riesige Enzyklopädie der Götter- und Heldensagen, ein Weihnachtsgeschenk ihres Vaters, im Jahr vor seinem Verschwinden. Sie war in dem Winter wie besessen gewesen von den Musen; er hatte ein Lederbuchzeichen in das Kapitel über Kalliope gelegt. Ein konspirativer Houseboy hatte den Band in die unterste Kommodenschublade gepackt, wo sie auch ihre gestohlenen Snacks versteckten. Dort lag das Buch mit drei Kekspackungen und den Handtüchern. Und Taiwo hatte schon gedacht, es sei gestohlen worden oder sie hätten es verloren. Begeistert warf sie sich auf das Bett, in dem sie mit ihrem Bruder schlief, und fing an zu lesen. Sie lag nackt da, den Bauch auf einem Kissen, als sie zu einer Illustration zum »Raub der Persephone« kam: eine Darstellung des Mädchens mit rosaroten runden Brüsten auf einer Blumenwiese. Dazu der Text:
     
    »Persephone pflückte gemeinsam mit ihren Begleiterinnen Artemis und Athene auf einer Wiese Blumen. Da wurde sie angelockt von einer besonders schönen Narzisse mit hundert Blüten. Doch als sie die Blume pflücken wollte, öffnete sich die Erde vor ihr, und aus den Tiefen erschien Hades mit einer goldenen Kutsche, die von schwarzen Pferden gezogen wurde. Hades packte Persephone und nahm sie mit sich in die Unterwelt. Sie schrie und flehte zu Zeus, ihrem Vater, ihr zu helfen, doch er half ihr nicht.
    Auch Demeter hörte Persephones Hilferufe und kam herbeigeeilt, um ihr beizustehen. Mit brennenden Fackeln suchte sie neun Tage und neun Nächte lang nach ihrer entführten Tochter, zu Land und zu Wasser. Sie aß nicht, schlief nicht und wusch sich nicht während ihrer verzweifelten Suche. Am zehnten Tag eröffnete ihr Helios, der Gott der Sonne, dass Hades Persephone geraubt habe. Und er sagte ihr auch, dass der Raub von

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