Diese Dinge geschehen nicht einfach so
»Mach die Augen auf«, sagte er und packte wieder ihr Kinn, beugte sich vor, sein Mund dicht an ihrem Ohr. »Sieh sie an.
Sieh sie an
. Sie sieht aus wie du, stimmt’s? Genau wie du. Eine kostbare Prinzessin, die niemand anfassen kann.« Er trat einen Schritt beiseite, so dass er nun direkt hinter Kehinde stand, und berührte Kehindes Wange, so wie er Taiwos Haare gestreichelt hatte. »Nur du, kleiner Junge. Nur du.
Du
kannst sie anfassen.« Er legte beiden eine Hand auf die Schulter. »Zeigt eurem Onkel, was ihr macht.«
Einer der jungen Wächter räusperte sich. Onkel Femi blickte auf. »Schließ bitte die Tür ab«, sagte er. Die Jungen setzten sich in Bewegung. »Von innen, ihr Idioten. Ihr zwei bleibt hier.« Sie gehorchten. Nun drehte sich Onkel Femi wieder zu Taiwo. »Meine kleine Somayina.« Mit einem warmen Lächeln klopfte er aufs Sofa. »Komm her.«
Taiwo machte noch einen Schritt auf Kehinde zu. »Onkel, bitte. Wir haben das nicht gemacht, was sie behauptet.«
»Du lügst.« Nicht laut. Er klopfte wieder lächelnd aufs Sofa. »Komm, leg dich hierher.« Sie umklammerte Kehindes Hand und schüttelte den Kopf, eine minimale Bewegung. Femi lachte, schloss die Augen, und dann brüllte er los: » LEG DICH HIERHER !« Die Lautstärke war so überraschend, so scheußlich, dass Taiwo Kehindes Hand losließ. Wie ein Roboter bewegte sie sich auf das Sofa zu und setzte sich hin. »Na, das ist doch schon besser. Und jetzt auf den Rücken.« Er legte ihr seine Hand um den Hals und drückte sie nach hinten. Verblüfft von der Unnachgiebigkeit dieser Berührung legte sie sich hin.
Kehinde kam näher. »Bitte, Onkel. Fass sie nicht an«, presste er zwischen den Zähnen hervor.
»Keine Sorge. Ich tu ihr nichts.« Er trat einen Schritt zurück, betrachtete Taiwo auf dem Sofa, wie sie dalag, die Arme seitlich, ihr Körper starr vor Angst. Sie zitterte immer noch, weil sein Griff und sein Geschrei sie so erschreckt hatten. Sie erwiderte seinen Blick, schaute in die schwarzen, rotgeränderten Augen. Er sah aus wie das Bild von Hades. Hades, der »Frauenräuber«, der Vergewaltiger, ein Wort, das sie schon gehört, aber noch nie geschrieben gesehen hatte. »Raub«. »Vergewaltigung.« Haut und Blumen, eine goldene Kutsche, schwarze Pferde, ein Mädchen, das entführt wird. »Ich bin nicht pädophil«, verkündete er mit einem höhnischen Grinsen.
Pädophil, pädophil, pädophil
, dachte Taiwo und begann zu weinen. Denn sie hatte es falsch verstanden. Ein Mann, der Kinder liebte? Der seine eigenen Kinder liebte?
Falsch
. Ein Mann, der seine Kinder verlässt, der sie, seine Tochter, verlassen hat, wie Zeus. Und wo war Demeter? Auf der Suche nach ihrer Tochter? Mit brennenden Fackeln, verzweifelt rufend? Zu Hause bei Sadie.
Das Gefühl der Wehrlosigkeit überschwemmte sie wie eine Welle. Sie merkte, wie sie die Kräfte verließen, wie ihre Beine schlaff wurden. Lautlos rannen ihr die Tränen aus den Augenwinkeln und tropften auf das geblümte Polster unter ihren schön geflochtenen Zöpfen. Ihre Brust sank in sich zusammen, unter dem Nachthemd, ihrem Minnie-Mouse-Nachthemd, das sie besaß, seit der Mann sie stolz nach Disney World gebracht hatte, wovon er selbst viel begeisterter war als seine Kinder, von dieser amerikanischsten aller Familientraditionen. Sie spürte, wie ihre Fäuste schmolzen, wie ihre Finger weich wurden, sich lösten. Sie merkte, dass sie jede Hoffnung auf Flucht aufgegeben hatte. Wenn sie jetzt versuchte davonzulaufen, dann würden die Schultheater-Soldaten sie festhalten. Ihr Onkel würde sie übermannen, wenn sie Widerstand leistete. Was auch immer passierte, würde passieren, das wusste sie, es war niemand da, der es verhindern konnte. Es war niemand da, außer ihnen. Sie und ihr Bruder, allein mit diesem Onkel.
Ein Pädophiler.
»
Du
wirst sie anfassen«, sagte Femi. Er deutete zuerst auf Kehinde, der wie vor den Kopf gestoßen dastand, dann auf Taiwo, die wie ein Kuchen auf dem Sofa lag. »Für mich ist sie zu hübsch.« Er nahm einen Zug. »
Ehn
, also los – fang an.« Ungeduldig klatschte er in die Hände.
»Jo, jo, jo.«
Beeilung!
Pädophil, pädophil, pädophil
, dachte Taiwo.
»Ich verstehe nicht, Onkel«, sagte Kehinde.
»Fass das Mädchen an.«
»Ich verstehe nicht«, wiederholte Kehinde, dessen Augen sich mit Tränen füllten.
Onkel Femi saugte an den Zähnen. »Dann werde ich es dir vorführen. Ihr da, kommt mal her.« Er winkte die Wachen zu sich, die gehorsam herbeieilten.
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