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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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(ein Stück entfernt, aus Gewohnheit), durchquerte ganz normal die Lobby, ruhig und gelassen, der jamaikanische Sicherheitswachmann Ernie lächelte freundlich, als er hereinkam – Ernie freute sich immer, wenn er den Arzt sah (einer), der seinen Vornamen kannte, der »Guten Morgen, Mr Ernie« sagte, jeden Morgen, wenn er kam, und jeden Abend, wenn er nach Hause ging, sagte: »Viele Grüße an die Kinder«, statt im Blindflug an ihm vorbeizurauschen, ohne ihn zu begrüßen, ohne ihn zu sehen, als wäre der Wachmann ein Gegenstand, Teil der Lobby –, dann fuhr er mit dem Aufzug nach oben, halb lachend, hinauf zu den Büros, blieb einen Moment stehen, um der extremen Stille zu lauschen, dann weiter, den Flur entlang, in seinem OP -Kittel und seinem weißen Mantel, und er klopfte einmal kurz, bevor er ins Zimmer stürmte.
    * * *
    Als sie ihn später durch die Lobby schleiften, seine Augen blutunterlaufen vom Brüllen, ein Irrer in OP -Kittel, da hatte er den Kurs am Museum of Fine Arts komplett vergessen. Samt Kehinde, drei U-Bahnstationen entfernt.
    Und fast kamen ihm die Tränen, als er jetzt das Kind in der Lobby sah. Dreißig Minuten hatte der Junge auf seinen Vater gewartet, bis er dann zu dem Schluss kam, dass sein Vater bestimmt durch eine Operation aufgehalten worden war. Also ging er zu Fuß ins Krankenhaus, um stattdessen dort zu warten. Bis zu dem Augenblick hätte Kweku Geld darauf gewettet, dass sein jüngster Sohn nicht wusste, wo er arbeitete – dass er weder den Namen des Krankenhauses kannte, eines von mehreren hier in der Gegend, noch die Lage der Eingangshalle –, aber hier war er, Kehinde. Ruhig betrat er das Krankenhaus, als gerade zwei Männer einen Irren durch die Lobby schleiften.
     
    »Hände weg! Lassen Sie mich los!«, schrie dieser die Wachleute an.
    Und Ernie, an seine Kollegen gewandt: »Er ist Arzt hier! Aufhören!«
    Und Dr. Yuki zu Ernie: »Er ist
nicht
mehr Arzt hier, entschuldigen Sie! Er wurde entlassen! Letztes Jahr!«
    Gerade, als Kehinde auftauchte.
    Einfach so. Aus dem Nichts. Wie nur er das konnte, erschien er ohne einen Laut, mit einer ledernen Kunstmappe unter dem Arm.
     
    Die Wachleute, die weiß waren, schauten Dr. Yuki an, die rosarot war und deren kleine Hände und Lippen vor sprachloser Wut zitterten. Sie nickte ihnen zu, einmal, eine Hongkonger Mobstress nickte ihren Schergen zu, strich dann ihren Rock glatt und wollte gehen, als ihr Blick auf Kehinde fiel. Sie schob den Haarvorhang beiseite, um in seine Augen zu sehen, blinzelte, als würde sie von einer gefährlichen Lichtquelle angezogen. Zuckte zusammen. Kehinde musterte sie seinerseits, konnte fühlen, was Dr. Yuki fühlte, die Unfruchtbarkeit, so traurig für sie. Er kaute bekümmert auf der Unterlippe. Dr. Yuki sah sein Mitleid, und er fühlte, wie sich ihr Bauch mit Scham füllte.
    Sie machte kehrt, auf ihren
Kitten-Heel
-Absätzen, und klack-klack-klackte davon.
     
    Die Wachleute betrachteten Ernie mit echtem Bedauern und schubsten Kweku, ohne jedes Bedauern, hinaus auf den Gehweg. Irgendwie stolperte Kehinde – zu verdutzt, um etwas zu sagen – als Nächster durch die Drehtür, verwundert, dass sich die Welt noch drehte.
    Spätnachmittag.
    Orangerote Sonne.
    Eine Weile rührten sie sich beide nicht. Kweku schnappte nach Luft, die Hände auf die Knie gestützt, starrte er auf seine Fingerknöchel, und Kehinde neben ihm, die Mappe an sich gedrückt wie ein Schwimmfloß, mit großen, stummen Augen. Genau in dem Moment fuhr ein Krankenwagen vor, aggressive rote Lichter und aggressive rote Töne, und wie es sich gehörte, sprang die Maschine an, als wäre nichts passiert (nichts Wichtiges). Sanitäter quollen hinten aus dem Krankenwagen, Assistenzärzte aus der Notaufnahme, in Massen, selbst Ernie hatte seine Funktion: Er musste Besucher vertreiben, damit die Trage (schreiende Frau, Kopf des Sohnes schon sichtbar) durchkam. Vom Rand des Gehwegs, wo er nun stand, konnte Kweku sehen, wie Dr. Yuki mit versteinerter Miene beim Aufzug stand, als die Trage hinter ihr vorbeirollte, entweder taub oder gleichgültig gegenüber der Wolke aus Chaos, die hinter ihrem Rücken vorbeiwehte. Trat ein, fuhr hoch.
    Aus Gewohnheit fasste er, ohne hinzuschauen, Kehinde am Ellbogen. Er tat dies oft – berührte seine Familie, wenn Chaos herrschte, einfach um sie zu spüren, um die körperliche Wärme zu fühlen, um sie so nah wie möglich bei sich zu haben, näher kam er körperlicher Zuwendung nie –, aber jetzt

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