Diese Dinge geschehen nicht einfach so
irgendwohin. Er hatte absolut kein Geld mehr. Er war erledigt. Er war im Delirium. Er fuhr ein paar Minuten, ehe er merkte, dass er fuhr. Er fuhr so, als wären diese Hände nicht seine, als wäre dieser Fuß nicht seiner, zum Krankenhaus.
»Können wir kurz sprechen?«
Ein kurzes Gespräch mit Dr. Yuki, Dr. Michiko »Michelle« Yuki, die sich auf die Lippe gebissen hatte, während sie ihn mit zusammengekniffenen Augen über ihre Tasse hinweg musterte. »Dieses Gremium glaubt«, sie das Sprachrohr, ein winziger Mund, monotone Sprechweise, obwohl die Wörter so lang waren. Ehemalige Turnerin. Nur gut einsfünfzig groß, mit einem asymmetrisch geschnittenen Pagenkopf und dem vierteiligen Boxset von Harvard: BA , MD , PhD, MBA . Er war schon einmal zu einem Dinner bei ihr zu Hause gewesen, in Cambridge. Sie war mit einem Anwalt verheiratet, ebenfalls ein Jahrgangskollege von Marty. Anlass für dieses Abendessen war, dass sie zur Vizepräsidentin befördert worden war. Im Foyer standen Pantoffeln, das war ihm aufgefallen. Ein wunderschönes Haus. Der Ehemann war eine Monstrosität, nichts als Schimpfwörter und Gepolter, sturzbetrunken, ehe die Hors d’Oeuvres einmal die Runde gemacht hatten. Aber der Raum war sehr elegant, lauter Holz und verschlungene Orchideen, dünne Kalligraphie-Schriftrollen, die kaskadenförmig an der Wand hingen. Überall kleine Lackschalen.
Ein kurzes Gespräch mit Dr. Yuki.
Nur ein Wort. Oder eine Frage. Eine einzige. Die wollte er schon die ganze Zeit stellen. Er wollte es ihr direkt ins Gesicht sagen (oder in die Hälfte ihres Gesichts, weil gut fünfzig Prozent hinter dem glänzenden Halbvorhang ihres asymmetrischen Pagenkopfs verschwanden). Einfach: Wie schlief sie nachts? Dr. Yuki, die Chirurgin. Nicht die Verwaltungsfrau. Sondern die Ärztin, die niemandem Schaden zufügt. Denn die andere, die Aspirantin, die Kostümträgerin? Klar, schon okay. Die Managerin Yuki dachte an ihren Nettoprofit, an die Anteilseigner. Eine der reichsten Bostoner Familien, die zu den wichtigsten Geldgebern des Krankenhauses gehörte – da »stand zu viel auf dem Spiel«, wie Marty es ausdrückte, um nichts zu unternehmen. Die Familie hatte verlangt, dass jemand die Verantwortung übernahm. »So etwas passiert manchmal« war nicht genug. Also beschloss man übers Wochenende in einem Hinterzimmer – einem Raum, in dem Gericht gehalten wurde, allerdings mit Cocktails –, dass der Operateur gefeuert werden musste. Würde das reichen? Würde das die Cabots besänftigen? Ja, vielen Dank, gut so, bitte. Schon okay, Managerin Yuki.
Aber Doktor Yuki?
Sie
wusste Bescheid.
Sie
wusste, wie das ging. Sich für die Operation vorbereiten, »Skalpell« sagen, mit scharfem, sterilem Stahl den Bauch aufschneiden.
Sie
wusste, wie stolz er war, sich dieser Angst zu stellen, wie er sich darauf freute – nicht nur er, sondern die gesamte stolzerfüllte Sippe. Sie wusste, dass der Eingriff einwandfrei durchgeführt worden war. Das alles wusste sie, Dr. Yuki, aber mit ihren Worten wollte sie erreichen, dass ein guter Chirurg gefeuert wurde, um eine einflussreiche Familie zu besänftigen. Sie sagte, er habe versagt »bei der Einschätzung der Risiken«.
Obwohl kein Arzt (außer einem) mit ihrer Bewertung übereinstimmte. Obwohl ihr Chef, der Präsident des Krankenhauses, die Operation persönlich verfolgt hatte, was das Ganze nur noch schlimmer machte und was
fast
dazu geführt hätte, dass sie den Rechtsstreit verloren – was auch passiert wäre, wenn der Richter nicht Ginnys Cousin gewesen wäre.
Fast.
Letzten Endes spielte es keine Rolle. Die Maschine war in Gang gesetzt worden. Sie fraß alle Briefe, alle Petitionen, alle Einsprüche, alle Kollegen, die für ihn eintraten und sagten, dass er getan habe, was er konnte, dass sie selbst es nicht hätten besser machen können. Vergebens. Es gab Zweifel. Dr. Putnam »Putty« Gardener – der getreue Hausarzt der Cabots, verwitwet, genau wie Kip ein Mitglied der Delta Kappa Epsilon Fraternity, Bostoner Brahmane, Rassist, Golfspieler – Dr. Gardener beharrte darauf, dass der Chirurg versagt habe, weil er (a) die Risiken nicht richtig eingeschätzt habe und (b) sie nicht entsprechend mitgeteilt habe.
Und damit war die Sache erledigt.
Jetzt wollte der Operateur ein kurzes Gespräch mit der Vizepräsidentin des Krankenhauses führen, um sie direkt und persönlich zu fragen, ob sie nachts gut schlafen könne. Und deshalb suchte er sich einen Parkplatz
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