Diese Dinge geschehen nicht einfach so
würde mich sehr freuen. Sie hat nichts dagegen?«
»Mom? Nein. Sie hat massenhaft Bilder.«
»Gut.« Er war derjenige, der nicht wusste, dass sie einem kleinen Basquiat das Leben geschenkt hatten, nicht sie. Sie war die Mutter. Er war der Ernährer. Er hörte auf zu lachen. »Ich w-w-würde mich freuen.« Seine Stimme brach (andere Teile von ihm ebenfalls). »Wie … wie nehme ich es?«
»Ich rolle es zusammen. So.«
»Warte. Musst du es nicht erst noch signieren?«
»Nur berühmte Maler signieren ihre Bilder.«
»Nur dumme Maler warten, bis sie berühmt sind. Hast du einen Stift?«
Kehinde grinste so breit, dass er gar nicht sprechen konnte. Er fasste in seinen Rucksack. Kweku bremste ihn.
»Nimm den hier.« Er holte den Silberstift aus seiner unbenutzten kleinen Operationskitteltasche (ein Examensgeschenk von Fola, für Rezepte, graviert). Kehinde nahm den Stift und drehte ihn zwischen den Fingern.
»Echt schön. Wo hast du den her?«
»Von deiner Mutter. Natürlich.«
Kehinde nickte lächelnd. Wieder ein Blick zum Haus. Er legte das Bild auf das Armaturenbrett und überlegte, wo er unterschreiben sollte. Kweku beobachtete Kehinde und staunte, wie er sich veränderte, wie er sich entspannte, als seine Hand das Papier berührte, wie sich seine Schultern lockerten und er lässig ausatmete, ganz bequem. Bei ihm war das auch so, wenn ein Körper auf einem Tisch lag und er das Silbermesser in der Hand hielt statt dem Silberstift. Wie konnte ihm das bisher entgangen sein?
Wie oft schon hatte er abends Fola anvertraut, dass er diesen schmalen, hübschen Jungen einfach nicht »kapierte«; anders als Olu, durch den er so an sich selbst erinnert wurde, war Kehinde für ihn ein schwarzes Loch. Fola antwortete immer vage, irgendetwas vom undurchschaubaren Wesen des zweitgeborenen Zwillings, oder sie erzählte wieder einmal mit großem patriotischem Stolz den Yoruba-Mythos von den
ibeji
.
Der Mythos:
Ibeji
(Zwillinge) sind zwei Hälften eines Geistes, eines Geistes, der zu groß ist, um in einen Körper zu passen – und sie sind Schwellenwesen, halb menschlich, halb göttlich, die entsprechend verehrt, ja, angebetet werden müssen. Speziell der zweite Zwilling – der Wechselbalg und Schwindler, weniger fasziniert von weltlichen Dingen als der erste Zwilling – kommt sehr zögernd auf die Welt und bleibt nur mit großer Mühe, weil er immer Heimweh nach den spirituellen Reichen hat. Am Abend vor ihrer Geburt als physische Körper sagt dieser skeptische zweite Zwilling zum ersten: »Geh du raus und sieh nach, ob die Welt gut ist. Wenn sie gut ist, bleib dort. Wenn sie nicht gut ist, komm zurück.« Der erste Zwilling Taiyewo (von dem Yoruba-Ausdruck »to aiye wo«, »die Welt sehen und schmecken«, abgekürzt zu Taiye oder Taiwo) verlässt gehorsam den Schoß, um sich auf Forschungsmission zu begeben, und die Welt gefällt ihm so gut, dass er bleibt. Wenn Kehinde (von dem Yoruba-Ausdruck »kehin de«, »als Nächster ankommen«) merkt, dass seine andere Hälfte nicht zurückkommt, macht er sich gemächlich daran, es seinem Taiyewo gleichzutun, und lässt sich dazu herab, menschliche Gestalt anzunehmen. Die Yoruba betrachten deshalb Kehinde als den Älteren: als Zweiter geboren, aber dafür weiser, also »älter«.
Und so war es.
Kehinde war nicht weniger, weniger kontaktfreudig, weniger sozial, in Taiwos Schatten, selbst ein Schatten. Nein – er war etwas anderes. Von anderswoher. Aus einer anderen Welt, wie Ekua. Empathisch wie Fola. Und obwohl er es nicht richtig einordnen konnte, sah Kweku jetzt voll Ehrfurcht: Er war wie sein Vater (und wie schon
dessen
Vater).
Kehinde signierte das Bild säuberlich unten rechts in der Ecke. Kweku legte ihm kurz die Hand auf die Schulter. »Na, so was, Mr Sai – vielen Dank.«
»Gern geschehen, Dr. Sai.« Kehindes Lächeln verschwand schnell wieder. Das Wort »Doktor« schwebte zwischen ihnen im Auto wie ein fremder Geruch. Hunde begannen ein hässliches Kläff-Konzert. Kehinde schaute etwas länger zum Haus. In Taiwos Zimmer ging das Licht aus. Dann wieder an, wieder aus. Wie ein Signal. Wieder an. Kehinde wandte sich Kweku zu, verwandelte sich wieder zu einem schwarzen Loch. »Dein Stift.«
»Deiner.«
»Aber er ist …«
»Behalte ihn.«
»Bist du sicher?«
»Ich würde mich geehrt fühlen, wenn du ihn nimmst.«
»Danke, Dad.« Wieder ein fremder Geruch.
Kweku berührte Kehindes Gesicht, strich sanft mit dem Finger über die Stelle zwischen
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