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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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seinen Brauen, so wie er es oft bei Fola machte, um ihr Falte dort wegzureiben, obwohl das nie richtig funktionierte. Jetzt auch nicht. »Es ist bestimmt Zeit fürs Abendessen.« War es aber noch nicht. Noch eine halbe Stunde. »Deine Mutter will garantiert alles über deinen Kurs hören. Geh schon mal rein.«
    »Kommst du nicht mit?«
    »Gleich.«
    Kehinde nickte, ohne zu lächeln. »Dein Bild«, sagte er.
    Er rollte es ordentlich zusammen und überreichte es Kweku. Der Kameramann filmte: Der intelligente Vater wird dumm. Kweku nahm das Bild entgegen, so wie man es macht, wenn man sagen will:
Ich werde es immer in Ehren halten
, aber die Worte nicht findet. Die Worte, die er fand, lauteten: »Könntest du vielleicht lieber nicht erwähnen, dass …«
    »Keine Sorge. Versprochen. Ich sage nichts.«
    Und dann Stille.
    »Okay«, sagte Kweku.
    »Okay«, sagte Kehinde. Er wartete noch einen Moment, dann stieg er aus.
    »Ich habe dich sehr lieb«, sagte Kweku, aber schon bei »Ich« fiel die Tür zu.
    Kehinde hörte nichts und ging ins Haus.
     
    Er wartete kurz, dann fuhr er rückwärts aus der Einfahrt. Er hörte nicht auf zu fahren bis Baltimore, sieben Stunden, die I- 95 vor ihm wie ein dunkler Ozean, flach. Er fuhr, ohne zu sehen, unter dem Mond, in die Dunkelheit. Er nahm ein Zimmer in einem Hotel beim Hopkins Hospital, eines, an das er sich erinnerte. Als er schließlich zu Hause anrief, schluchzte sie untröstlich, war aber klar verständlich. »Kehinde will mir nicht sagen, was passiert ist, er sagt, das hat er versprochen. Du machst mir Angst. Was ist passiert? Wo bist du? Was ist los?«
    Er sagte ganz simpel, dass es ihm leidtue und dass er weggehe. Wenn sie das Haus verkaufe, müsste das Geld für einen Neustart reichen. Dass er sie vermutlich nie verdient habe, nie richtig. Dass er sie alle ruiniert habe, weil er es schaffen wollte, obwohl er keine Chance hatte.
    »Obwohl du keine Chance hattest. Was soll das heißen – keine Chance? Hast du gespielt? Bist du in
Lebens
gefahr? Wo bist du?«
    (Er war nirgends.) Er sagte, es sei so am besten. Und noch einmal, dass es ihm leidtue. Dass sie besser dran sei ohne ihn. »Ich lasse dich gehen.«
    »Was soll das heißen?«
    Alles Liebe für die Kinder.
    »Wann kommst du nach Hause?«, fragte sie weinend.
    Er kam nicht.

Dreizehn
    Sechzehn Jahre später steht er nach vorn gekrümmt da, die Hände auf den Knien, die nackten Füße im Gras, halb keuchend, halb lachend über das, was passiert ist und wie es passiert ist: Das gebrochene Herz, vor dem er weggelaufen ist, hat ihn eingeholt.
    Endlich.
    Als er wegging, dachte er selbstverständlich, dass er zu dem Leben, das er kannte, zurückkehren würde, zu seiner Familie, zu seinem Zuhause – vielleicht
schneller
, als er es tat, in ein paar Tagen, nicht in ein paar Wochen –, aber er kam nie auf die Idee, dass sie weg sein könnten. Dass sie sich in Luft aufgelöst haben könnten. Durfte man Fola deswegen Vorwürfe machen? War
sie
diejenige, die überreagierte, indem sie alles zusammenpackte und in ihrer Verzweiflung einfach dichtmachte? Allein in diesem Haus, mit den geheimen Türen und Treppen, mit der Zugluft und den Schatten, mit Originaltüren, die nicht richtig schlossen, und mit vier Kindern, einem ernsten Jungen, zwei Schwellenwesen und dem Baby – ohne ihn? Verlassen. Allein. Nicht »hilflos«. Niemals hilflos. Sie war noch nie hilflos gewesen, auch nicht als Kind, verwöhnt in Victoria Island, vor dem Krieg. Sie war eine geborene Kämpferin, eine Egba, die sich nichts gefallen ließ (oder jedenfalls eine halbe Egba, weil die Igbo-Mutter bei der Geburt starb), sie war mit Dingen konfrontiert gewesen, die wesentlich schlimmer waren als ein Haufen Schulden, die sie gar nicht verursacht hatte, schlimmer als die Einsamkeit, als das Alleinsein, als die Verzweiflung. Aber nicht schlimmer als verlassen zu werden, würde sie entgegnen. Nicht schlimmer als Betrug, Enttäuschung. Vertrauen zu schenken und dann im Stich gelassen zu werden.
    Dass es nie wieder in Ordnung gebracht werden konnte, lag das an ihr? Das behauptete er jedenfalls, obwohl er vermutlich wusste, dass es nicht stimmte. Oder besser gesagt, obwohl er wusste, dass er
verloren
hatte. Oder hatte er »recht«, so wie man recht hat, wenn einem Unrecht zugefügt wird von einer Person, der man Unrecht getan hat? Wenn man unfähig ist zu glauben, dass man überhaupt recht haben
könnte
? War sie diejenige, die ihn im Stich ließ, nachdem sie selbst im

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