Diese Dinge geschehen nicht einfach so
betraten, begriffen sie, um welche Ausmaße es hier ging. Das gesamte Gebäude gehörte dem Onkel. Alles, die ganzen vier Stockwerke gehörten ihm. Er warte oben im Penthouse, wurde ihnen auf dem Weg nach oben mitgeteilt. Niké schubste sie aus dem Aufzug. »Lasst euer Gepäck stehen – für die Houseboys«, mit der unbeherrschten Ungeduld eines Kindes an Weihnachten, »nach links,
ehn
, er wartet schon«, den extrem breiten Flur entlang zu einer großen Flügeltür, die weit offen stand und aus der laute Opernmusik schallte.
Ja, tatsächlich, er wartete. Dieser Onkel Femi, von dem sie gehört hatten und der erst spät aus dem Nichts auf dem Plan erschienen war, vor ein paar Monaten: die ideale Lösung für das Problem »Auf welche Highschool können die Zwillinge gehen?«, nachdem ihr Vater abgehauen und die Gebühren für die Prepschool unbezahlbar waren. Zu den Alternativen gehörte die angesehene öffentliche Highschool, die ihre Mutter an einem unseligen Nachmittag aufgesucht hatte: Sie bog gerade auf den Parkplatz ein, als ein Bus mit Metco-Schülern zwei Jungen ablud, die sich sofort prügelten und beschimpften. Die unangenehmste Lösung war Olus Schule, die Milton Academy. Dort musste man darum bitten (in Folas Worten, »betteln«), dass noch einmal geprüft wurde, ob sie vielleicht einen Anspruch auf finanzielle Unterstützung hatten. Erschwerend kam nämlich hinzu, dass sie drei Jahre lang, als Olu auf die Schule ging, die volle Gebühr bezahlt hatten und in der Zwischenzeit niemand gestorben war. Dann tauchte plötzlich aus heiterem Himmel dieser nigerianische Onkel auf, bei dem sie wohnen konnten, während sie die internationale Schule in Lagos besuchten, wo sie der potentiellen Indoktrinierung durch eine »pathologisch kriminalisierte Kultur« entkommen konnten. Während ihre Mutter als alleinerziehende, arbeitende Mutter sich wieder zurechtzufinden versuchte.
Fola, die ihren Bruder bis dahin kein einziges Mal erwähnt hatte – so wenig wie irgendwelche anderen Familienmitglieder oder sonst etwas aus ihrer Vergangenheit –, setzte ihn und Taiwo einfach an den Tisch in der Küche. »Ich schaffe das nicht im Moment …«, begann sie. Dann schüttelte sie den Kopf, schloss die Augen, schlug die Hand vor den Mund, als wollte sie den Schmerz zwingen, in ihrer Kehle zu bleiben. Kehinde spürte, wie ihr die Tränen hochstiegen, in der Mitte, starrte sie aber nur an, reglos, unfähig zu sprechen. Er wollte sagen: »Mach dir keine Sorgen, er kommt zurück, Mom.« Er wollte sagen: »Dr. Yuki hat ihn zur Vordertür hinausgeworfen.« Aber im Volvo hatte er ein Versprechen gegeben.
Könntest du vielleicht lieber nicht erwähnen, dass – Keine Sorge. Versprochen. Ich sage nichts.
Also sagte er kein Wort.
Fola wischte sich die Augen, holte tief Luft, schüttelte wieder den Kopf. »Entschuldigung«, sagte sie.
Kehinde sagte: »Ist okay.«
Taiwo sagte: »Was schaffst du nicht?«
»Mit euch vieren.« Ihre Augen und ihre Stimme matt. »Jedenfalls jetzt im Moment. Mein B-Bruder in Lagos, euer Onkel Femi, hat es angeboten.«
»Was hat er angeboten?«, wollte Taiwo wissen.
»Euch zu nehmen. Jetzt erst mal.«
»Uns zu nehmen? Wo?« Taiwos Stimme wurde lauter. »In Lagos? Du hast noch nie von einem Bruder erzählt.« Dann: »Du schickst uns weg, damit wir bei fremden Leuten wohnen.« Sie lachte. »Kommt Olu auch mit? Und Say? Oder geht es nur um uns?«
Fola schüttelte den Kopf. »Olu ist im letzten Highschool-Jahr.«
»Und Sadie?!«, schrie Taiwo. »Sie ist dein Lieblingskind, stimmt’s?«
Sadie war im Pyjama in der Küchentür erschienen, fast unhörbar. Nur Kehinde blickte auf. »Niemand hat mich geholt«, murmelte sie leise, niedlich.
»Ist schon okay«, flüsterte Kehinde. »Komm her. Wir sind alle hier.«
»Wir sind
nicht
alle hier!«, rief Taiwo mit bebender Stimme und stand auf. »Er hat uns mit ihr allein gelassen, und jetzt schmeißt sie uns raus!« Sie schaute ihre Mutter an, die aus dem Fenster schaute. Kehinde folgte ihrem Blick, zum Rand der Route 9 .
»Er hat sie mitgenommen. Er hat die Statue mitgenommen«, murmelte Fola abgelenkt.
»Er hätte dir das nie erlaubt!«, tobte Taiwo und stürmte aus der Küche.
Kehinde schaute Sadie an, lächelte warm. »Mach dir keine Sorgen.«
Fola schaute Kehinde an, zuckte die Achseln. »Was soll ich tun?«
»Mach dir keine Sorgen«, wiederholte er. »Es ist okay, Mom. Das ist sehr nett von deinem Bruder. Dass er das Angebot gemacht hat,
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