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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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Quatsch, sagt sie, das ist doch total unlogisch. Der Skorpion lebt auf sandigem oder steinigem Boden, und als Sternzeichen soll er ein Wasserzeichen sein? Und Wassermann ein Luftzeichen? Sehr fragwürdig.) Ein Windstoß vom Meer wehte über ihre Veranda, und sie atmete den Salzgeruch ein.
    »Ich höre auf«, sagte sie beim Ausatmen.
    »Nein. Das kann ich nicht zulassen.«
    »Ich will nicht Anwältin werden«, sagte sie bissig. Mit dem Mittelfinger fuhr sie über die belastende Schlagzeile:
Vorwurf der Untreue bringt Jura-Dekan der Elite-Universität in Schwierigkeiten
. »Deiner Meinung nach hätte ich doch gar nicht Jura studieren sollen.«
    »Vor zwei Jahren, Taiwo. Du bist die Beste in deinem Jahrgang.«
    »Ich bin immer die Beste in meinem Jahrgang«, erwiderte sie schnell. »Bist du schon mal auf die Idee gekommen, dass dieser ganze ›Jahrgangs‹-Kram kompletter Mist ist? Was heißt das denn, ›Jahrgang‹? Immer die gleiche Gruppe von Feiglingen, die Trost darin suchen, dass sie brav ihre Aufgaben machen. Wie klug können wir denn sein?«
    Hilfloses Gelächter. »Du bist gnadenlos.«
    »Ich bin ehrlich.«
    »Kein Unterschied. Ich erlaube nicht, dass du aufhörst.«
    »Na ja, du kannst mich nicht zwingen.« Sie erhob sich demonstrativ und ging die Verandastufen hinunter. »Taiwo!«, rief er, folgte ihr aber nicht. Sie ging, lief, rannte zum Strand, saß dann alleine da und blickte auf den Atlantik hinaus. Wie wunderbar es wäre, einfach ins Wasser zu gehen, dachte sie, dem Pfad des Sonnenaufgangs auf den Wellen zu folgen, rosarot und golden, in ihren Flipflops und dem Wollpullover des Liebhabers, loslaufen und immer weiter laufen, hinunter, weg. Stattdessen saß sie nur da, eine Stunde, vielleicht länger, gerade lang genug, um ihn leiden zu lassen, um dafür zu sorgen, dass es ihm weh tat. Sie war nicht besonders wütend (jedenfalls nicht auf ihren Liebhaber; sie war seit über fünfzehn Jahren wütend auf ihr Schicksal), aber sie wollte, dass er litt, und nicht unter der Schande, nein, er sollte das Gefühl haben, sie im Stich gelassen zu haben, bewirkt zu haben, dass sie scheiterte.
    Warum wollte sie das?
    Er betrog sie nie. Sie hatten einander nie verfolgt, hatten nie geklammert oder etwas verlangt; sie waren beide einfach hineingestolpert, im Bruchteil einer Sekunde, hatten sich dem Sog ergeben und waren ertrunken. Jetzt gab es Gerede und Fotos und Gerüchte, eine Art von Debatte, die sie so noch nicht kannte, wie wenn ein gut geschulter Roboter Geschichten ausspucken würde, die verschiedene Fakten aus ihrem Leben enthielten, aber nichts mit
ihr
zu tun hatten. Dafür konnte
er
nichts. Er war ungeschickt und verliebt, besaß aber nur ein beschränktes Maß echter Macht. Er hätte sich mit ihr treffen können, wo niemand sie sah, konnte aber dem inneren Wunsch, gesehen zu werden, nicht widerstehen. Zwei Jahre Sex in einem Zimmer im Village und in hübschen Gasthäusern am Strand, die Ostküste hinauf und hinunter – und dann fing er an, sich nach einem Publikum zu sehnen, das ihm applaudierte, das seine großartige Eroberung zu
sehen
bekam und etwas erfuhr von seinem großen Glück. Ein Abendessen hatte sie zur Strecke gebracht. Es waren Freunde seiner Frau da und Freunde seiner Feinde aus Regierungszeiten. Keinen Monat später kündigte sich der Skandal an. Der Präsident der Universität und die entsprechenden Gremien wurden in Kenntnis gesetzt. Mitte August begaben sie sich nach Cape May, um die Kapitulationsbedingungen auszuhandeln. Ende der Szene.
    Sie waren immer noch Alliierte, ein Liebespaar. Es gab keinen Grund zur Wut. Sie hatte ihn nie gebeten, seiner Frau alles zu gestehen oder sie zu verlassen. Aus offensichtlichen Gründen hatte sie kein besonderes Interesse daran, Ehefrau zu werden, und keinerlei Interesse daran,
seine
zu werden. Aber sie wollte, dass er litt. Er sollte wissen, dass er sie im Stich gelassen hatte. Sie war entschlossen, das Studium aufzugeben, damit er wusste, dass sie versagt hatte. Alle sollten ihr Scheitern sehen, sich den Kopf zerbrechen und einander im Flüsterton fragen, wie dieses Mädchen diesen Erfolg (summa cum laude, New York University!, PPE am Magdalen College in Oxford!,
Summer Associate
bei der Kanzlei Wachtell!) aufs Spiel setzen konnte. Und als Antwort würde kommen, wenn auch nicht für diejenigen, die diese Frage stellten, aber doch für ihn:
    weil er es zugelassen hat
.
    Und nicht nur er allein.
    Da war der andere, das erste Mal, der, den sie gelöscht

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