Diese eine Woche im November (German Edition)
und ab.
» Hast du ein Handy? «
Er greift in die Tasche. Sein Telefon ist nass und glitschig. Tang hängt daran. Er will es einschalten. Kein Licht. » Tot. «
» Meines haben sie mir weggenommen. « Julia rennt auf den Platz hinaus. Die Restaurants, die Cafés, die Bars – wohin sie sich auch wendet, alles ist dunkel. » Das gibt’s doch nicht! «
Tonio spürt noch ihre Hände an seinen Schultern. Er fährt herum. Waren da nicht Schritte? » Wir sind noch nicht weit genug von denen weg. « Er holt Julia ein. » Weiter, bevor sie merken, dass du abgehauen bist. «
» Wieso weißt du eigentlich so viel von der Sache? « Sie mustert ihn wachsam.
Was soll er sagen? Dass ihm die Trucidi und ihre Juwelen herzlich egal sind, solange es Julia gut geht? Er greift zu einer Lüge, die der Wahrheit ziemlich nahekommt.
» Wir verfolgen eine heiße Spur, die zu den Verschwörern führt. «
» Wir? « Sie runzelt die Stirn. » Ich habe noch nie gehört, dass ein Fünfzehnjähriger für die Polizei arbeitet. «
» Ich arbeite nicht für die Polizei. Ich habe einen einflussreichen Freund. «
Julia ahnt plötzlich, dass dieser Junge eine Menge Ärger auf sich genommen hat, um ihr zu helfen. Wäre die Lage anders und hätte sie mehr Zeit, würde Julia das vielleicht süß finden oder merkwürdig oder aufdringlich. Julia hat keine Zeit. Sie muss einen Auftrag erfüllen, vielleicht den wichtigsten ihres Lebens.
» Mein Vater sagt, ich soll zu Commissario Gianfranco gehen, zu ihm und keinem anderen. Wie kriegen wir raus, wo der Typ sich aufhält? «
» Telefonieren. «
» Wie? « Ungeduldig stampft sie auf.
» So, wie die Leute das früher gemacht haben! « Tonio rennt los. Am Fuße des Campanile leuchtet ein vertrautes Logo, ein Münzfernsprecher.
» Ach herrje, gibt es die wirklich noch? « Julia folgt ihm.
Gemeinsam suchen sie nach Münzen. An ihrer Jacke reibt Julia sie trocken. Er wirft sie ein und wählt.
» Moment. Wen rufst du an? « Schon ist ihr Misstrauen wieder da. » Das ist nicht die Notrufnummer. «
» Die vom Notruf glauben uns ja doch nicht, was passiert ist. « Er wischt sein Ohr trocken und hält den Hörer daran.
Sie fällt ihm in den Arm. » Wen rufst du an? «
Er legt den Finger vor den Mund. » Hallo? – Ich bin’s. Ich habe sie gefunden! – Von wo ich anrufe? Die Leitung ist sicher. Ich brauche etwas von dir, und zwar rasch. Ein Commissario, äh … « Er dreht sich zu ihr. » Wie heißt der? «
» Gianfranco. « Sie schüttelt den Kopf. » Wie will dein Freund denn rauskriegen …? «
Tonio bedeutet ihr, still zu sein. » Verstehe. Raubdezernat. Wo? – Fondamenta San Lorenzo. – Danke. Gibst du Pippa Bescheid? « Er legt auf und schaut in Julias beeindrucktes Gesicht. » Das ist gar nicht weit von hier. «
» Wenn ich gewusst hätte, dass ich Venedigs 007 begegne, hätte ich mir was Schickeres angezogen « , sagt Julia trocken.
Tonio vergisst, dass er klitschnass ist und friert. Er vergisst, dass er ein Taschendieb ist, der sich von der Polizei sonst möglichst fernhält. Er darf für Julia etwas tun, darf helfen, ihren Vater zu retten. Vor ihren Augen nimmt er den Kampf mit den Trucidi auf. Das durchwärmt ihn. Er lächelt, weil ihn das so glücklich macht.
» Wie weit ist das? « , fragt sie.
» Nur ein paar Gassen. «
Sie lassen den Campanile hinter sich. Vom Torre dell’Orologio erklingt die volle Stunde. Die Bronzefiguren schlagen auf die Glocke, es ist zwei Uhr nachts.
Sie rennen durch die Calle Larga und die Salizada Giorgi. Tagsüber nehmen sich die Touristen hier viel Zeit. Hier shoppen sie, was ihre Kreditkarten hergeben, trinken Kaffee, essen in Restaurants, wo die Spaghetti einen Fantasiepreis kosten.
Julia schenkt alldem keinen Blick. Sie rennt hinter Tonio her und gesteht sich ein, ohne seine Hilfe hätte sie den Weg niemals gefunden. Laufend entwickelt sie ihren Plan. Sie wird dem Commissario die Zusammenhänge erklären. Er schickt das Einsatzkommando los, die umstellen das Haus, brechen die Tür auf, stürmen den Palazzo und befreien ihren Vater. Julia nickt zuversichtlich und verdrängt die Furcht, dass es auch ganz anders kommen könnte.
Vor den Stufen eines schmucklosen Gebäudes hält Tonio an. » Da sind wir. «
» Wo sind wir? « Sie sieht sich um.
Vor einem Kommissariat parken normalerweise Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht. So kennt sie das aus Düsseldorf. In Venedig schaukeln die Einsatzfahrzeuge auf dem Wasser. Motorboote, auch mit Blaulicht
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