Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diese eine Woche im November (German Edition)

Diese eine Woche im November (German Edition)

Titel: Diese eine Woche im November (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
Vom Netzwerk:
er sie beleidigt und weiß nicht, wie er es gutmachen soll. Er schlürft den Kaffee in kleinen Schlucken und wartet auf die Wirkung.
    Pippa ist nicht sauer. Auch wenn Tonio selten etwas erzählt, kennt sie ihn genau. Sie spürt seine Einsamkeit. Er würde das nie zugeben, sieht sich lieber als Einzelgänger, dem das Umherstreunen Spaß macht. Rinaldo ist Tonios Ankerplatz und sein Arbeitgeber. Rinaldo ist das Beste, was dem Jungen je passierte. Trotzdem, eine Familie ersetzt er nicht. Rinaldo hat Tonio eine Bleibe besorgt, das Zimmer eines Journalisten, der selten in der Stadt ist. Pippa war einmal da. Ein Bild hängt an der Wand, eine hübsche Frau im Garten. Sie pflückt Tomaten. Ist das deine Mutter, fragte Pippa. Nein. Er betrachtete das Foto zärtlich. Ich weiß nicht, wie meine Mutter aussah. Aber so könnte sie ausgesehen haben. Bevor sie gingen, sagte er noch: Ich bete jede Nacht für Mama.
    » Lass uns anfangen. « Pippa will Tonio auf andere Gedanken bringen.
    » Kann ich wenigstens austrinken? «
    » Es gibt gleich Regen. « Sie zahlt für beide und springt vom Hocker. » Bei schlechtem Wetter verschwindet unsere Kundschaft von der Straße. Dann sind wir arbeitslos. «
    Missmutig folgt er ihr ins Freie.
    Sie versuchen ihr Glück im Viertel Cannaregio und ziehen zur Fondamenta Pescheria los, wo die Hotels dicht an dicht liegen. Vaporettos und Wassertaxis bringen neue Gäste oder holen die Touristen zu den Tagestouren ab. In ihren Regenjacken laufen die Fremden am Ufer lang und halten ihr Smartphone griffbereit. Zum millionsten Mal knipsen sie die gleichen Bilder derselben Attraktionen.
    » Liebespaar? « , fragt Tonio.
    » Einverstanden. «
    Das ist ihre Tarnung. Umschlungen schlendern sie die Promenade hinunter. Pippa mag es, wenn er den Arm um sie legt. So würde sich das anfühlen, denkt sie, wenn wir uns wirklich lieben würden. Seine Hand um meine Schultern, mein Arm um seine Taille. Man wird schließlich noch träumen dürfen.
    Ein Rucksack, lose umgehängt – mit den Augen macht Tonio Pippa aufmerksam. Sie schüttelt den Kopf, zeigt auf die billige Kleidung der Familie. Bei denen ist nichts zu holen. Nur die Reichen, das weiß Tonio, nur solche, die den Verlust verschmerzen können. Wie wohlhabend jemand ist, lässt sich manchmal schwer feststellen. Meistens liegt Pippa mit ihrer Einschätzung richtig.
    Ein Motorboot braust vorbei. Die Leute springen zur Seite und kriegen trotzdem ein paar Spritzer ab.
    » Arschloch « , hört Tonio eine Frauenstimme in seiner Nähe. Keine Frau, ein Mädchen – blonder Pferdeschwanz, enge Lederjacke, teure flache Schuhe. Sie trägt ihre Tasche über der Schulter. Eine Tasche, die danach schreit, den Besitzer zu wechseln. Tonio braucht Pippa nicht anzustoßen, sie hat das Opfer schon bemerkt.
    » Eine Deutsche « , raunt sie. » Die Deutschen sind die Besten. «
    » Perfekt. «
    Er lässt Pippas Hand los und biegt in die nächste Gasse. Sie bleibt an dem Mädchen dran. Er überquert den Platz, wechselt die Richtung zweimal, bis er der Blonden von der anderen Seite entgegenläuft. Rechts der Kanal, dort gibt es kein Ausweichen, hinter ihr ist Pippa in Bereitschaft. Die Deutsche wendet sich ab, ein Schaufenster ist der Grund. Natürlich, Schuhe. Tonio betrachtet ihren Rücken, die sportlichen Schultern. Falls sie handgreiflich wird, heißt es vorsichtig sein. Plötzlich entdeckt ihn das Mädchen in der spiegelnden Scheibe.
    Wenn wir vom Zufall sprechen, meinen wir ein unwahrscheinliches Ereignis mit weitreichenden Folgen. Wäre Tonio pünktlich ins Café gekommen, hätte er dort zu Ende gefrühstückt, er und die Deutsche wären sich nie begegnet. Hätte Pippa den Bezirk San Marco für die Morgenarbeit vorgeschlagen, wären Julia und Tonio einander nie über den Weg gelaufen. Aber er aß kein Hörnchen, der Schauplatz ist das Cannaregio, sie stehen hintereinander.
    » Hübsche Schuhe « , sagt Tonio. » Allerdings nicht so hübsch wie deine Beine. «
    Ein dummer Spruch, das weiß er selbst. Kein Spruch ist zu dumm, haben ihm die älteren Jungs beigebracht. So macht man das. Man labert Frauen mit irgendeinem Blödsinn an und wartet, wie sie reagieren. Die Blonde sagt nichts.
    » Gerade erst angekommen? «
    Sie zeigt ihm immer noch den Rücken. Tonio fürchtet, dass sie kein Italienisch versteht.
    » Kommst du aus Deutschland? « Er ist jetzt so dicht hinter ihr, dass er ihr Shampoo riecht.
    » Zieh Leine, oder ich ramme dir mein Knie – du weißt schon, wohin « ,

Weitere Kostenlose Bücher