Diese eine Woche im November (German Edition)
bestand zunächst darin, die Sache bei den Medien herunterzuspielen. Die eigentlichen Ermittlungen kamen nur schleppend voran. Sämtliche Personen, die sich in der Nähe des Schmuckes aufgehalten hatten, wurden verhört, Büros und Privatwohnungen durchsucht, umsonst. Erst ein anonymer Hinweis brachte plötzlich neue Anhaltspunkte. Die Spur führte nach Venedig.
Reichelt will ihr nachgehen, genau genommen ist er nur deshalb hier. Seine Sorge war, das organisierte Verbrechen könnte Mittel und Wege kennen, einen deutschen Ermittler in Venedig ausfindig zu machen. Deshalb unternahm er die Reise als Tourist. Er hat ein schlechtes Gewissen, Julia als Tarnung zu missbrauchen, doch nun sind sie einmal hier. Vielleicht ist seine Vorsichtsmaßnahme ja ganz unbegründet.
» Buon giorno, Herbert! « Vor der Trattoria Enrico erwartet den Hauptkommissar ein gut gekleideter Mann mit flottem Haarschnitt. Seine Schläfen sind grau, er trägt ein Bärtchen.
Weshalb sind die Italiener immer besser angezogen als wir, fragt sich Herbert und schaut an seiner Anzughose hinunter auf die ausgelatschten Schuhe. Gianfranco trägt eine Wildlederjacke, gebügelte Hosen und ein weißes Hemd.
» Guten Morgen. « Sie schütteln einander die Hand.
Der venezianische Kommissar weist ins Lokal. » Das Enrico ist bekannt für seine Pasta. «
» Ich habe gerade erst gefrühstückt. «
» Bei diesen Nudeln wirst du schwach. « Gianfranco fasst den deutschen Kollegen unterm Arm, sie treten ein.
Dunkle Deckenbalken, gedämpftes Licht, rot karierte Tischtücher. Gianfranco führt Herbert an einen Tisch, wo sie ungestört reden können. Außer ihnen befinden sich zwei ältere Damen im Lokal und eine skandinavische Familie.
» Un po’ di vino? « , fragt der Commissario, als sich der Kellner nähert.
» Ich weiß nicht. « Herbert lächelt unsicher. » Es ist gerade mal zehn Uhr. «
» Weshalb soll man da keinen Wein trinken? «
Gianfranco bestellt einen halben Liter Roten und eine Flasche Wasser. Die Mittagskarte wird ihnen vorgelegt.
» Ich empfehle die schwarzen Linguini. «
» Wieso sind die schwarz? «
» Weil sie mit Tintenfisch gekocht werden. «
» Eigentlich bin ich nicht hungrig. «
» Dann nimmst du die gefüllten Gnocchi. Die zergehen auf der Zunge. « Gianfranco klappt die Karte zu. » Gnocchi alla Tyrennia « , bestellt er, als der Kellner die Getränke bringt. » Per me Tagliatelle alla siciliana, poi una bistecca alla griglia con patate e un’ insalata di pomodori. «
» Dolci? « , fragt der Kellner.
» Più tardi. «
» Certo. « Der Kellner zieht ab.
» Du hast eine Menge bestellt. « Herbert hat kaum etwas verstanden.
» Ist alles ganz leicht, weißt du. « Gianfranco gießt ein. » Ich muss auf meine Linie achten. Meine Frau will keinen fetten Hahn zu Hause. «
Reichelt findet, sie haben nun genügend Small Talk gemacht. » Was den Fall betrifft « , beginnt er mit gedämpfter Stimme.
» Wie ist dein Hotel? Bist du zufrieden? « Gianfranco reißt ein Päckchen Grissini auf und knabbert die salzigen Stangen.
» Danke. Nachts stinkt es zwar ein bisschen, ist aber auszuhalten. «
» In Venedig stinkt es immer, stinkt überall. – Wir haben den Mann leider verloren « , sagt der Commissario übergangslos.
» Euren Kontaktmann? «
Sie stoßen an und beugen sich zueinander. » Er ist verschwunden. Ich fürchte, er ist aufgeflogen. «
» Wie seid ihr an ihn herangekommen? « Herbert nippt nur. Alkohol tagsüber bekommt ihm nicht.
» Er ist zu uns gekommen. Hat von der Belohnung gelesen. «
» Dann muss er eine deutsche Zeitung gelesen haben. Nirgends sonst stand die Höhe der Belohnung. «
Gianfranco nickt. » Dieser Mann ist gebildet, gut informiert und sehr geschickt. «
» Was willst du damit sagen? «
» Wir haben uns einmal persönlich getroffen, trotzdem bin ich ihm nicht begegnet. Ich sollte mich in der Kirche Madonna dell’Orto in den Beichtstuhl setzen. Der Mann blieb draußen. Durch den Vorhang haben wir gesprochen. «
» Weshalb ist er sicher, dass der Schmuck nach Venedig geschafft wurde? «
» Er hatte selbst mit dem Raub zu tun. «
» Wenn er Mittäter ist, wieso wird er dann zum Verräter? «
Lächelnd zieht der Commissario die Schultern hoch. » Weshalb tun die Menschen Dinge? Geld, Geld und wieder Geld. « Er schenkt sein Glas zum zweiten Mal voll. » Du kannst ein Schmuckstück wie die Tränen der Maddalena nicht einfach verkaufen. Jemand, der diese Juwelen raubt, will das Diadem auch
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