Diese Lippen muss man küssen
Wirtschaftslage so schlecht ist, ist es wichtig, dass man etwas für die Familien tut, die in Not geraten sind.“
„Ja, das stimmt.“ Abby griff nach der Rechnung, die die Kellnerin gebracht hatte. „Ich weiß leider auch noch nichts Genaueres. Nur dass die Meinungen geteilt sind. Die alte Garde möchte keine Veränderung und will das alte Clubhaus behalten. Die jüngeren Mitglieder dagegen sind für einen Neubau nach dem Entwurf, den Daniel Warren vorgelegt hat.“
Beide Frauen standen auf und gingen zur Kasse, wo Abby die Rechnung bezahlte. Sadie umarmte sie kurz. „Danke für die Einladung, Abby. Ich muss jetzt schnell los. Wenn du etwas hörst, sag mir bitte Bescheid. Wenn wir für das Familienzentrum nicht mit dem alten Clubhaus rechnen können, muss ich mir was anderes überlegen.“
„Klar, mach ich.“ Abby nahm das Wechselgeld entgegen, verstaute ihren Geldbeutel in der Handtasche und ging dann zu ihrem Wagen. Schon von Weitem sah sie, dass etwas hinter ihrem Scheibenwischer klemmte. Sofort musste sie an die anonymen Briefe und Zettelchen denken, die Brad und andere Clubmitglieder in den letzten Monaten erhalten hatten. Sie hatten Behauptungen darüber enthalten, wessen Kind Sunnie wirklich war.
Rasch zog sie die Notiz hinter dem Scheibenwischer hervor. Ihr Herz klopfte schneller, obwohl sie wusste, dass es keinen Grund gab, besorgt zu sein. Zeke Travers hatte den Fall gelöst, als er herausfand, wer Sunnies Vater war. Und der Erpresser war längst hinter Gittern. Dennoch zitterten ihr die Finger, als sie das Blatt Papier auseinander faltete. Die Nachricht war von Brad, der ihr mitteilte, dass er und Sunnie sie am Abend auf der Ranch besuchen würden. Kurz blickte Abby sich um, aber der Parkplatz war leer. Brad war nirgends zu sehen.
Wie kam er dazu? Hatte sie nicht deutlich gesagt, dass er sich in Zukunft an Sadie und Sheila wenden sollte, wenn er Probleme mit der Kleinen hatte? Verärgert steckte sie das Papier in die Jackentasche und stieg in ihren Wagen. Es sah so aus, als wolle Brad Price sie unter Druck setzen. Aber damit würde er nicht weit kommen.
Wenn er am Abend tatsächlich mit dem Kind vor der Tür stand, musste sie ihm sehr deutlich machen, dass sie allein gelassen werden wollte. Sie liebte ihr ruhiges ereignisloses Leben und fühlte sich nicht einsam. Ihre Arbeit für den Wohltätigkeitsverein füllte sie aus, die Mitgliedschaft im TCC brachte viel Abwechslung, und sie hatte gut mit ihrer Ranch zu tun, einer der größten Pferdefarmen in Texas. Sie wollte und brauchte weder Unruhe noch Aufregung und erst recht nicht die, die ein Mann wie Bradford Price in ihr Leben bringen würde.
Brad parkte seinen neuen Minivan vor Abbys Ranchhaus, stieg aus und öffnete die seitliche Schiebetür, um die Gurte von Sunnies Sitz zu lösen. Immer noch konnte er kaum glauben, dass er sich diese Familienkutsche gekauft hatte und sogar häufiger benutzte als seinen Sportwagen. Aber seit Sunnie in seinem Leben aufgetaucht war, kam ihre Sicherheit für ihn stets an erster Stelle. Junge Frauen zu beeindrucken war längst nicht mehr so wichtig. Erstaunlich, dass so ein kleines Wesen einen erwachsenen Mann wie mich dazu bringen kann, meine Gewohnheiten total zu ändern, dachte er und betrachtete zärtlich seine schlafende Nichte.
Er hängte sich die Wickeltasche über die Schulter, fasste den Griff des Tragesitzes mit einer Hand und nahm mit der anderen den großen Rosenstrauß von der Rückbank. In den letzten Tagen hatte Abby ihm so oft geholfen, und dafür wollte er sich bedanken. Ein Rosenstrauß allein war zwar nicht genug, aber sowie Juanita aus Dallas zurück war und auf Sunnie aufpassen konnte, würde er Abby zum Lunch einladen. Gute Idee.
Zufrieden mit sich selbst stieg er die Stufen zur Haustür empor und klopfte. Während er darauf wartete, dass Abby ihm aufmachte, blickte er sich um. Obgleich Richard Langley und er nicht eng befreundet gewesen waren, war er doch ein paarmal in diesem Haus gewesen, meist, wenn Richard die Pokerfreunde um sich versammelte. Seitdem hatte sich hier manches verändert. Statt der rustikalen Schaukelstühle standen jetzt zierliche Korbsessel und ein passender Tisch auf der Terrasse, und ein Windspiel erklang melodisch in der leichten Brise.
„Was willst du denn hier?“, begrüßte Abby ihn, kaum dass sie die Tür geöffnet hatte.
„Hast du meine Nachricht nicht gefunden?“, gab er zurück, obgleich er wusste, dass sie den Zettel gelesen hatte. Denn sonst
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