Diese Nacht gehoert der Liebe
anrufen.
Er musste sie finden, und wenn er sämtliche Krankenhäuser im Umkreis von hundertfünfzig Kilometern dafür anrief.
Seine Hände zitterten, als er das Telefon in der Haupteingangshalle mit dem Wartesaal erreichte. Er griff nach dem Hörer und suchte in seiner Jeans nach Kleingeld, als ihm unter den Wartenden eine bekannte Gestalt auffiel, deren Gesicht hinter einer Zeitung verborgen war.
Mr. Smith. Er saß am Rand eines langen, blauen Vinylsofas und las. Nick hängte den Hörer in die Gabel.
„Mr. Smith?”
Boyd Smith ließ seine Zeitung sinken. Er musterte Nick finster. „Wurde aber auch Zeit, dass Sie sich endlich blicken lassen.”
„Maggie, Drew …” Nick konnte kaum ihre Namen aussprechen. „Geht es ihnen gut?”
„Natürlich geht es ihnen nicht gut”, erwiderte Boyd ungehalten und warf die Zeitung beiseite.
Nick vermochte kaum durchzuatmen. „Wie schlimm steht es um sie?”
„Schlimm genug”, erwiderte Boyd gepresst. „Meine Maggie ist eine starke kleine Frau, sie wird es schon schaffen. Aber Drew, er ist doch ein kleiner Junge. Kinder überstehen so etwas nicht immer, und wenn doch, dann hinterlässt es Narben.”
Überstehen was nicht immer? dachte Nick. Ihm wurden die Knie weich, und er sank neben Boyd auf die Couch. Er konnte nicht akzeptieren, dass er Drew ausgerechnet jetzt verlieren sollte, wo er ihn gefunden hatte. Und was interessierten ihn Narben? Was spielten sie für eine Rolle, wenn Drew überlebte? Maggie. Er musste zu Maggie. Lieber Himmel, wie sehr brauchte er sie jetzt.
„Haben Sie meiner Tochter gesagt, Sie wollten ihr meinen Enkel wegnehmen?”
Nick hörte Boyds Frage, aber es dauerte einen Moment, ehe er begriff, was er meinte. Er schloss die Augen und atmete schwer aus. Maggies Vater hatte nie mehr als drei Worte in einem Satz gesagt, und jetzt plötzlich wurde er zum Redner. „Ich war wütend, Mr. Smith.
Aber jetzt ist kaum der rechte Moment, darüber zu sprechen.”
„Erscheint mir der ideale Augenblick. Diese Dinge dauern gewöhnlich eine Weile.
Zumindest erinnere ich mich, dass es einmal so war, auch wenn das schon neunundzwanzig Jahre her ist.”
Großartig, dachte Nick betroffen. Der Mann redete nicht nur zu viel, jetzt redete er auch noch Unsinn. „Ich kann Ihnen nicht folgen, Mr. Smith.”
„Babys, Santos. Babys lassen sich Zeit.”
Babys? Wovon um alles in der Welt redete der Mann? „Wie bitte?”
Boyd runzelte die Stirn. „Was haben Sie eigentlich? Sie bekommen doch keine Zwillinge.
Warum werden Sie so blass?”
Zwillinge. Babys.
Babys.
In dem Augenblick ging ihm ein Licht auf. Julianna und Lucas … Es hatte keinen Unfall gegeben. Maggie und Drew waren nicht verletzt. Sie waren mit Julianna ins Krankenhaus gefahren.
Dem Himmel sei Dank, dachte er und verspürte eine grenzenlose Erleichterung.
Als er zu lachen begann, beugte sich Boyd vor und fragte rau: „Alles in Ordnung, Junge?”
Nick wurde schwindlig, aber er war so glücklich, dass er beinahe Maggies Vater umarmt und geküsst hätte. Er sprang rasch auf. „Wo sind Maggie und Drew?”
„Drew ist mit seiner Großmutter in die Cafeteria gegangen. Maggie ist bei Julianna geblieben, bis Lucas kommt, aber er ist jetzt schon eine Zeit lang hier. Ich weiß nicht, wo sie hingegangen ist. Halt, Sie dürfen nicht…”
Nick stieß die Türen mit der Aufschrift „Kein Zutritt” auf und lief den Flur hinunter. Er musste Maggie finden, ehe er Drew begegnete. Er hörte, eine Frau nach Atem ringen, dann ihren Mann anschreien und wandte sich hastig um. Werdende Eltern wollte er nicht stören.
Eine verärgerte Krankenschwester schickte ihn aus dem Kreißsaal durch eine weitere Doppeltür in einen anderen Gang.
Als er um die Ecke bog, sah er Maggie. Sie stand vor großen Fensterscheiben und starrte hinein. Sein Herz begann zu rasen, als er sich ihr näherte. Hier war die Neugeborenenstation.
Sie schaute sich die Kleinen an.
Er konnte kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen, als er sie sah. Erschöpfung stand ihr im Gesicht, und ihre Schultern hingen herab, als trüge sie die Last der ganzen Welt. Sie wirkte zerbrechlich wie eine Porzellanpuppe.
Er beobacht ete sie und merkte, wie die unterschiedlichsten Gefühle in ihm aufflackerten.
Betroffenheit. Zorn. Liebe.
Sie hatten ein Kind. Erst jetzt begriff er dieses Wunder. Drew war sein Sohn. Er war Vater.
Der Gedanke erschütterte ihn.
Maggie hatte gelogen, ihm etwas Wunderbares vorenthalten. Aber war es wirklich so schwer
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