Diese Sehnsucht in meinem Herzen
schmutzig war. Gierig zog er an seiner Zigarette, bis er fast husten musste, dann stieß er den Rauch in einem grauen Strom aus. Anschließend streckte er den Arm nach draußen und aschte auf die Straße. Zwei Stockwerke tiefer liefen unzählige Menschen am Haus vorbei, und obwohl es schon dunkel war, konnte er doch ihre Gesichter noch recht gut sehen. Halb unbewusst sah er sich dabei alle Männer genauer an.
Er hatte keine Ahnung, ob er in der Menge seine Söhne erkennen könnte, wenn sie darunter wären, schließlich hatte er beide seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. An sich war ihm das auch egal. Nostalgische Gefühle hatte er jedenfalls bestimmt nicht.
Letzte Woche hatte ihn die verdammte Firma freigestellt. Freigestellt, wie niedlich! Das hatten sie aber nett ausgedrückt. Dabei hatten sie ihn knallhart gefeuert. Einfach so.
Auch jetzt noch zog sich sein Magen bei dem Gedanken daran zusammen. Dabei hatte er doch immer von Geld, Ansehen und Erfolg geträumt! Dumm war er bestimmt nicht, und als er damals nach dem College auf die Arbeitswelt losgelassen wurde, war er zu allem bereit. Bald fand er einen anständigen Job in Connecticut, dort wollte er eine Zeit lang arbeiten, bis er sich nach etwas Besserem umsehen würde.
Aber dann hatte er geheiratet. Und Kinder bekommen.
Kinder, dachte Jonathan, lassen alle großen Pläne wie Seifenblasen zerplatzen.
Vom Augenblick ihrer Geburt an saugten einem Kinder das Blut aus dem Leib.
Immer brauchten sie etwas: Kleidung, Windeln, Spielzeug, Babynahrung, Ärzte.
Jeder Cent, den man verdiente, war sofort wieder ausgegeben.
Als Derek geboren war, hatte sich Jonathan jahrelang kein neues Hemd mehr kaufen können – so kam es ihm jedenfalls vor. Und dann erschien auch noch Nate auf der Bildfläche, und das Ganze ging von vorne los, nur doppelt so schlimm.
Angelica konnte ihn nicht verstehen, aber sie war ja auch nicht diejenige, die den ganzen Tag wie verrückt arbeitete, bloß um mit anzusehen, wie das Geld gleich wieder zum Fenster hinausgeworfen wurde. An Dereks Geburt trug Jonathan ja noch eine gewisse Mitschuld. Angelica hatte sich ein Kind gewünscht, und er hatte ihr nachgegeben. Aber das reichte ihm dann auch. Doch dann war sie auf einmal wieder schwanger – angeblich weil die Pille nicht gewirkt hatte, aber Jonathan hatte seine Frau im Verdacht, das Medikament einfach abgesetzt zu haben.
Jonathan verdrängte den Gedanken an sie, so wie er das schon lange tat. Schon wenn er ihren Namen hörte, tat ihm der ganze Körper weh, und er spürte Stiche in der Brust. Warum, wusste er nicht: Schließlich hatten sie sich in den letzten Jahren gar nicht mehr verstanden, und Jonathan wusste, dass sie ihn am Ende nur noch gehasst hatte. Aber nun gab es sie ja nicht mehr.
Es war nicht das erste Mal, dass man Jonathan gefeuert hatte. Zum ersten Mal war das passiert, als Angelica gestorben war, und er war darauf überhaupt nicht gefasst gewesen. Zu Beginn seines Arbeitslebens hatte er noch nach den Sternen greifen wollen, und nun auf einmal hatte er gar nichts mehr.
Und dann sammelte Derek auch noch diese blöden College-Prospekte! Als Jonathan nach Hause kam und sie auf dem Küchentisch liegen sah, wäre er fast durchgedreht. Es gab genug Familien mit zwei arbeitenden Elternteilen und einem deutlich höheren Einkommen, und selbst die konnten es sich nicht leisten, ihre Kinder aufs College zu schicken!
„Das kommt gar nicht infrage!“ fuhr er Derek an. „Sobald du deinen Schulabschluss hast, suchst du dir eine Vollzeitstelle und zahlst mir jeden Cent zurück, mit dem ich dein hungriges Maul stopfen musste. Und wenn du das nicht tust, dann melde ich sofort deinen saudummen Bruder von der Schule ab und lass ihn Tag und Nacht arbeiten. Dazu ist er schließlich alt genug, das seid ihr beide.“
Ein paar Wochen später hatte Derek seinen High-School-Abschluss in der Tasche, und wenige Tage danach wurde er achtzehn. An diesem Morgen musste Jonathan feststellen, dass sich beide Söhne auf und davon gemacht hatten.
Nun denn, wenn sie nicht mehr bei ihm waren, brauchte er auch nicht mehr für sie zu zahlen. Das war schon mal eine Erleichterung. Ihm war es egal, wo sie sich herumtrieben. Er machte sich nicht mal die Mühe, sie als vermisst zu melden.
Stattdessen hoffte er, dass er nie wieder von ihnen hören würde.
Irgendwann fand Jonathan eine neue Stelle, und er lebte jahrelang allein in dem großen Haus. Bis sie ihn letzte Woche gefeuert hatten. Das war das Ende: Was
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