Diese Sehnsucht in meinem Herzen
kam Josey sich wie ein kleines dummes Mädchen vor, das sich Hals über Kopf in einen Jungen auf dem Spielplatz verliebt hatte und sich nun damit abfinden musste, dass ihre Sandkastenliebe sich überhaupt nicht für sie interessierte. Am liebsten hätte sie ihm eine dicke Ladung Baggermatsch ins Gesicht geschleudert.
Vielleicht war das ja tatsächlich die Lösung. Zumindest im übertragenen Sinne.
„Einverstanden“, meinte Josey schließlich.
„Womit bist du einverstanden?“ hakte Nate nach, denn immerhin war es schon zwanzig Minuten her, dass sie zuletzt miteinander gesprochen hatten.
„Ich treffe mich mit Derek. Welche Frau würde dazu schon Nein sagen? Du kannst also gern etwas organisieren.“
Jonathan Simmons stand auf den angeschlagenen Steinstufen und blickte durch die Glastür in den Eingangsbereich des Wohnhauses. Komisch, dachte er, während er den unscheinbaren Hausflur in Augenschein nahm. Eigentlich hätte er etwas Edleres erwartet, wo sein Sohn doch jetzt Staranwalt war und dabei sicher eine Menge verdiente. Die Straße selbst machte ja noch einen ganz netten Eindruck, sie war von vielen alten, üppigen Bäumen gesäumt und strahlte eine gewisse Atmosphäre aus: die einer guten Wohngegend am Stadtrand von Boston. Doch der beigefarbene Ziegelbau, in dem Nate wohnte, versteckte sich am Ende einer Sackgasse und machte rein äußerlich nicht viel her.
Andererseits lagen hier in der Großstadt Boston die Mieten eine ganze Ecke höher als dort, wo Jonathan wohnte. Wer wusste also, welche Unsummen Nate monatlich für sein Apartment bezahlte? Und wenn Jonathan endlich bekam, was ihm zustand, würde er vielleicht sogar nebenan einziehen, um Tür an Tür mit Nate zu wohnen, dem Weltverbesserer und Goldesel.
Heute war Jonathan seinem Sohn vom Gerichtsgebäude aus nach Hause gefolgt, nachdem er dort den ganzen Tag auf ihn gewartet hatte. Zunächst ein Stück zu Fuß, dann mit der U-Bahn und schließlich wieder zu Fuß. Schließlich, als Nate rechts in eine Sackgasse einbog, ging Jonathan geradeaus weiter, um nicht aufzufallen – und kehrte dann schnell wieder um, so dass er gerade noch mitbekommen hatte, in welchem Haus sein Sohn verschwunden war. Dasselbe Haus, vor dem Jonathan jetzt stand.
Und jetzt? Jonathan konnte schlecht bei ihm klingeln, Nate würde ihm die Tür wahrscheinlich vor der Nase zuschlagen, sobald er seinen Vater erkannte. Nein, Jonathan musste erst einen Plan schmieden. Er merkte sich die Hausnummer des Gebäudes und machte sich wieder auf den Weg zur U-Bahn.
Viel einfacher wäre es, wenn Nate verheiratet wäre oder zumindest eine feste Freundin hätte. Jonathan drückte die Tür zur Haltestelle auf, kaufte sich ein Ticket und ging die Treppen zum Bahnsteig hinunter. In ein paar Tagen komme ich wieder, dachte er. Dann warte ich ab, ob Nate Frauenbesuch bekommt.
Ein guter Plan. Bei Frauen funktionierte die Mitleidstour ja meist hervorragend.
Und Jonathan war enorm gut darin, die entsprechenden Geschichten zu erfinden.
Es kam Josey schon ganz schön seltsam vor, dass Derek sie tatsächlich angerufen und sie gefragt hatte, ob sie mit ihm essen gehen wolle – ohne Nate.
Ein richtiges Date also. Oder doch nicht? Andere Frauen beschlossen einen romantischen Abend bestimmt nicht damit, dass sie ihre Verabredung zu sich nach Hause nahmen und mit ihr ein altes Würfelspiel für Kinder spielten… Wie dem auch sei, Derek und Josey hatten ihren Spaß dabei.
Anschließend holte Josey etwas zu trinken aus der Küche.
„Ach, wie süß. Bernard und Bianca“, bemerkte Derek mit einem Blick auf das bunte Dekor der Gläser. „Du bist ja toll eingerichtet.“
Josey nahm ein Sofakissen und warf es nach ihm, bevor sie sich im Schneidersitz auf dem Boden niederließ. „Halt dich bloß zurück! Die gehören zu einer ganz seltenen Sammlung.
Meine Eltern haben sie an einer Tankstelle gekauft, als wir mit dem Auto unterwegs waren und ich noch ganz klein war. Mom findet die Gläser furchtbar.
Sie hat mich praktisch angefleht, sie mitzunehmen, als ich ausgezogen bin. Mir gefallen sie aber.“
„Mir auch. Ich hab bloß Spaß gemacht.“ Derek nahm einen großen Schluck Eistee, dann setzte er sich neben Josey auf den Boden. „Ich… also, wir beide, Nate und ich… haben gar keine Erinnerungsstücke aus unserer Kindheit. Deshalb schaue ich mir so gern die anderer Leute an.“ Er deutete auf die alte Spielschachtel. „Du hattest bestimmt eine schöne Kindheit.“
Josey nickte und betrachtete
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