Diesen Sommer bin ich dein
ansehen und ihre Wahl
treffen. Entgegen dem Rat aller anderen außer Elizabeth, aber auch mit der
widerwilligen Unterstützung aller, würde sie sich für ihr restliches Leben
einrichten. Keine passive Beobachterin mehr, sondern aktiv Teilnehmende.
Der Sprühnebel von
der Meeresgischt - oder vielleicht war es der beginnende Regen -
befeuchtete ihr Gesicht. Ihr Haar wäre entsetzlich gelockt, wenn sie nach Hause
käme, und ihre arme Zofe wäre gefordert, etwas damit anzufangen. Lauren schloss
die Augen und fühlte sich von Wind eingehüllt. Von seiner Wildheit belebt.
Durch ihn gestärkt.
Sie hatte fünfzehn
Jahre Briefe der Fremden gelesen, die ihre Mutter war. Heiter, unbekümmert,
sorglos geschriebene Briefe einer Frau, die ihr Leben eindeutig genoss, auch
wenn sie sich weitschweifig über alles und jeden beklagte besonders über die
Männer, die sie in früheren Briefen mit begeistertem Lob überhäuft hatte, wie
auch darüber, dass ihre geliebte Lauren ihr nie antwortete und nicht zu ihr
kam, um bei ihr zu leben. Es waren Briefe, die Lauren noch vor wenigen Monaten
bis in die Grundfesten erschüttert hätten. Aber sie hatte eine neue Duldsamkeit
gelernt, eine Akzeptanz der unzähligen Arten, wie andere Menschen das eine
Leben bewältigten, das ihnen gewährt war. Sie empfand eine schmerzliche Liebe
für die Mutter, an die sie sich nur so vage erinnerte, dass keine dieser
Erinnerungen greifbar war. Sie hatte einen langen, langen Brief geschrieben und
nach Indien geschickt. Es war erst irgendwann im nächsten Jahr mit einer
Antwort zu rechnen, aber sie spürte eine Verbindung zu der Frau, die sie
geboren hatte.
Sie sollte
vermutlich hinabklettern, dachte sie, während sie bange die Fuß- und
Handstützen betrachtete, die ihr vom Strand aus gut zu bewältigen erschienen
waren. Aber da hatte sie nach oben geschaut, nicht nach unten. Wenn sie wartete,
bis es richtig regnete, könnte der Felsen glitschig werden, und sie säße fest.
Ihre Gedanken
schweiften einen Moment zu Kit, wie er ihr geholfen hatte, den Baum auf
Alvesley hinunterzuklettern, und sein Körper und seine Arme sie von hinten
schützend bargen, obwohl sie ihm verboten hatte, sie zu berühren oder
hinunterzutragen. Sie schob die Erinnerung fort. Sie war noch nicht dazu
bereit. Es war noch zu schmerzvoll.
Etwas am Rand ihres
Blickfeldes erregte ihre Aufmerksamkeit, und sie wandte den Kopf, um
hinzusehen. Dort führte ein steiler Pfad vom oberen Teil der Klippe zu dem Tal,
in dem sich der Wasserfall, der Teich und die Hütte befanden. Von ihrem Platz
konnte sie so weit nicht blicken. Aber sie konnte die Brücke über den Fluss
sehen, bevor dieser die letzten wenigen Meter zum Strand und zum Meer zurücklegte.
Er betrat gerade die Brücke, sein langer, graubrauner Reitmantel bauschte sich
im Wind, sein Hut war tief in die Stirn gezogen.
Ein Trugbild,
dachte sie töricht und senkte den Kopf rasch wieder auf die Knie. Ihr Herz
pochte heftig, als wäre sie zu schnell gelaufen. Bestimmt nur Neville, der von
Tante Clara geschickt worden war, um nachzusehen, was sie so lange am Strand
aufgehalten hatte. Aber es war nicht Neville. Dann eben der Duke of Portfrey,
der von Elizabeth und Lily aus demselben Grund geschickt worden war. Nein.
Nein, er war es nicht. Außerdem hätte keiner von ihnen nach ihr gesucht. Sie
hatte ihnen gesagt, dass sie allein sein wollte.
Sie hob erneut den
Kopf und wandte ihn beiläufig, um nicht enttäuscht zu sein, wenn sie einen
leeren Strand, eine leere Brücke und einen leeren Pfad sähe.
Er war am Strand,
kam auf sie zu.
Lauren umfasste
ihre Knie fester.
Alle Gäste hatten
Alvesley innerhalb von zwei Wochen nach der Geburtstagsfeier verlassen. Sydnam
war eine Woche danach zu einem der größeren Anwesen des Duke of Bewcastle in
Wales aufgebrochen. Er hatte sich sehr darauf gefreut. Gute Arbeit als
Verwalter zu leisten war eine notwendige Herausforderung für ihn, um
weiterzumachen, hatte Kit erkannt. Das zusätzliche Einkommen brauchte Syd
gewiss nicht.
Das Leben zu Hause
hätte ruhig und glücklich verlaufen können, wenn nur eines nicht gewesen wäre.
Die Beziehung zu seinem Vater war besser denn je. Sie konnten von Mann zu Mann
miteinander reden und eine Vater-Sohn-Beziehung miteinander führen.
Vater wollte Dinge lehren; Kit wollte Dinge lernen. Und er brachte einige
Fertigkeiten mit, die er während der Jahre als Befehlshaber und der
Verantwortung auf Leben und Tod erworben hatte, sowie die Energie eines jungen
Mannes,
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